In Großbritannien gilt der National Health Service (NHS) als die größte Errungenschaft des britischen Sozialstaates. Jeder Bürger kann Leistungen kostenfrei in Anspruch nehmen, sofern sie tatsächlich zur Verfügung stehen. Die Nachrichten, die uns zu Beginn des Jahres aus England erreichten, liefern abschreckende Beispiel für ein chronisch unterfinanziertes Gesundheitswesen.
In Oxford hat ein leitender Arzt angekündigt, Chemotherapie-Behandlungen müssten rationiert werden, weil zu wenig qualifizierte Pflegekräfte zur Verfügung stünden. Diese Meldung wird flankiert von Horrorgeschichten aus einem permanent überlasteten und unterfinanzierten Gesundheitssystem. Im Seebad Clacton soll Anfang dieses Monats eine Seniorin verstorben sein, weil sie vier Stunden in ihrer Wohnung auf den Notarztwagen warten musste. Ebenso erging es einer Patientin in Portsmouth, die nach einem Schlaganfall sieben Stunden auf ein Krankenhausbett warten musste und ihr dann nicht mehr zu helfen war.
Das englische Gesundheitssystem stößt an Grenzen
Angesichts der ständigen Überlastung haben die Chefs des National Health Service (NHS) jetzt die Notbremse gezogen und 55.000 Patienten, bei denen nicht sofort erforderliche Operationen vorgesehen waren, auf den kommenden Monat vertröstet. Anders sei die hohe Zahl medizinischer Notfälle derzeit nicht zu bewältigen.
Anders als in Deutschland wird der öffentliche Gesundheitssektor im Vereinigten Königreich nicht über Sozialversicherungsbeiträge der Bürger oder private Krankenversicherungsbeiträge, sondern aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert. Um die ständige Unterfinanzierung zu lindern, denkt man jetzt auch in Großbritannien darüber nach, eine „NHS-Abgabe“ zu erheben. Faktisch wäre dies ein Systemwechsel weg von der Steuerfinanzierung und hin in Richtung einer beitragsfinanzierten staatlichen Krankenversicherung. Damit gliche das System in frappanter Weise dem, was die SPD für Deutschland anstrebt.
Der staatliche Gesundheitsdienstleister hat sich zu einem der größten Arbeitgeber der Welt entwickelt. Dort stehen 1,5 Mio. Menschen in Brot und Arbeit. Trotzdem herrscht gravierender Personalmangel. Im Vergleich zu Deutschland gibt es 40 Prozent weniger Krankenpfleger und 30 Prozent weniger Ärzte, was darauf zurückzuführen ist, dass die Politik Zugriff auf die Finanzen hat. Die Mittel für das Gesundheitswesen sind zwar nicht gekürzt, aber neuen Herausforderungen, dem medizinischen Fortschritt sowie einer wachsenden und alternden Bevölkerung nicht angepasst worden. Wer es sich irgendwie leisten kann, legt sich deshalb im Vereinigten Königreich eine private Krankenversicherung zu. Und das wäre im Fall einer Bürgerversicherung auch in Deutschland zu erwarten.
Im europäischen Vergleich schneidet der britische Gesundheitsdienst zudem schwach ab. Bei der Säuglingssterblichkeit ist Großbritannien in der EU binnen 25 Jahren vom siebten auf den 19. Platz zurückgefallen. Es wurden in der Vergangenheit aus Kostengründen zu wenig Fachkräfte ausgebildet. Das System wurde auf Verschleiß gefahren auf Kosten überlasteter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Ausgaben für das Gesundheitswesen sind zudem um ein Viertel niedriger als beispielsweise bei uns. Und ein solches System wollen uns die Sozialdemokraten gerade schmackhaft machen.
Das Einheitssystem ist kein Vorbild für Deutschland
Mal ganz abgesehen davon, dass es verfassungsrechtlich schwierig würde, Privatversicherte mit den milliardenschweren Altersrückstellungen der Privatkassen in eine Bürgerversicherung zu überführen, sprechen auch sachliche Gründe dagegen. Die Konkurrenz von privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen hat den medizinischen Fortschritt in Deutschland nachweislich befördert. Warum sollen wir gerade das einzige Element, das in unserem Gesundheitswesen wirklich funktioniert, abschaffen?
Die längeren Wartezeiten, an denen die SPD hauptsächlich den Vorwurf der Zwei-Klassen-Medizin festmacht, sind zudem selbst verschuldet. Da die Ärzte auf Budgetbasis vierteljährlich abrechnen müssen, ist jeweils vierteljährlich ein oftmals unnötiger Arztbesuch fällig, damit die Ärzte auf ihre Kosten kommen. Allein schon die Verlängerung des Budgetintervalls auf sechs Monate würde die ärztlichen Konsultationen und damit auch die Wartezeiten spürbar zurückführen.
Für Patienten ist eine optimale medizinische Behandlung das Wichtigste
Aber vorrangig sind Patienten doch an einer optimalen Behandlung ihrer Gesundheitsbeschwerden interessiert und in dieser Beziehung ist das deutsche dem angelsächsischen Einheitssystem weit überlegen. Die Konkurrenz von gesetzlichen und privaten Krankenkassen stellt zuverlässig sicher, dass medizinische Innovationen allen Patienten zu Gute kommen und nicht nur jenen, die auf Krankenkassen nicht angewiesen sind, weil sie über ausreichendes Vermögen verfügen.
Jetzt will die Politik aber gerade an dem Bereich rumdoktern, der vernünftige Ergebnisse erbringt, was völlig unverständlich ist. Viel sinnvoller wäre es, eine Begrenzung der Kosten für pharmazeutische Produkte in Angriff zu nehmen, weil durch Medikamente, die im Vergleich mit unseren europäischen Nachbarn um durchschnittlich 40 Prozent teurer sind, viel Geld aus dem System genommen wird. Vor der schlagkräftigen Lobby der Pharma-Industrie haben aber augenscheinlich auch Sozialdemokraten so viel Respekt, dass sie sich gar nicht einmal erwägen, sich mit ihr anzulegen.
Lieber nimmt die SPD aus Rücksichtnahme auf ihre Partei-Linke in Kauf, dass der einzige Bereich, der in unserem Gesundheitssystem reibungslos funktioniert, nämlich der Innovationstransfer des medizinischen Fortschritts hin zum Patienten, beeinträchtigt wird. Das verstehe wer will.
Da das Ziel der Bürgerversicherung in einem Schritt wohl nicht zu erreichen sein wird, strebt die SPD Zwischenschritte nach Hamburger Vorbild an. Dort können seit August letzten Jahres beamtete Nachwuchskräfte wählen, ob sie sich privat oder gesetzlich versichern lassen wollen. Dies wäre für die gesetzliche Krankenversicherung eine hohe Kostenbelastung, weil junge Beamte mit meist geringer Besoldung aufgenommen werden müssten, aber in der Regel mehrere Personen, Ehefrau und Kinder, Anspruch auf Leistungen hätten. Deshalb laufen derzeit nicht nur die privaten, sondern auch die gesetzlichen Krankenkassen Sturm gegen eine solche Entwicklung. Denn würde eine Wahlfreiheit für alle Beamten eingeführt, rechnen die gesetzlichen Krankenkassen mit Mehrkosten in Höhe von bis zu 5 Milliarden Euro pro Jahr.
BSBD kämpft für die Beibehaltung des Beihilfesystems
In Mönchengladbach äußerte sich BSBD-Chef Peter Brock denn auch kritisch zu den Plänen der Politik. Hier werde wieder einmal an den Symptomen herumexperimentiert, ohne wirkliche Verbesserungen für die Menschen zu bewirken. Wartezeiten für gesetzlich Versicherte ließen sich reduzieren, wenn ärztliche Leistungen nicht mehr nach einem Budget bezahlt würden. Dann wären unnötige Arztbesuche verzichtbar und das angesprochene Problem könne als weitgehend gelöst betrachtet werden. Stattdessen aber das Gesundheitssystem in Gänze zu beschädigen, mache eigentlich keinen Sinn.
Der Gewerkschafter rief die Koalitionäre dazu auf, dass grundgesetzlich geschützte Beihilfesystem zu respektieren: „Die Beihilfe ist ein wesentliches Element des Berufsbeamtentums und eine für die öffentlichen Kassen günstige Möglichkeit, die Betroffenen abzusichern. Leistungen des Dienstherrn werden schließlich nur dann fällig, wenn der Krankheitsfall eintritt. Unser duales Gesundheitssystem vermeidet zuverlässig die Rationierung von medizinischen Leistungen, wie wir sie jetzt in England beobachten können. Gerade diese Errungenschaft sollte die Politik nicht leichtfertig aufs Spiel setzten“, machte Brock die Position der Gewerkschaft Strafvollzug deutlich.
Friedhelm Sanker
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