Die fortschreitende Digitalisierung unseres Lebens könnte in absehbarer Zeit einen Menschheitstraum wahr werden lassen: Nicht mehr arbeiten zu müssen, weil das intelligente Maschinen für uns erledigen. Da ist es nicht verwunderlich, dass die Politik dieses Thema aufgreift und zu besetzen versucht. Speziell die SPD spürt Nachholbedarf und die Chance, wieder offensiv werden zu können.
Schließlich hatte sie mit der Agenda 2010 des damaligen Kanzlers Schröder bei ihrer Stammwählerschaft fast allen Kredit verspielt. Michael Müller (SPD), Regierender Bürgermeister von Berlin, brachte deshalb das Grundeinkommen in die Debatte ein, zielte aber vorrangig auf die bessere Versorgung von Langzeitarbeitslosen ab, denen seit den Agenda-Reformen nach dem Auslaufen des Arbeitslosengeldes der soziale Abstieg droht.
Das bedingungslose Grundeinkommen kam als Idee zunächst im linken Spektrum der Politik auf. Jeder Mensch sollte, unabhängig von seiner eigenen wirtschaftlichen Lage und ohne eine Gegenleistung erbringen zu müssen, vom Staat eine finanzielle Leistung erhalten, die ihm ein auskömmliches Leben ermöglichen sollte. Nachdem die Diskussion um ein Grundeinkommen lange Zeit verschüttet war, erhält sie seit einigen Monaten wieder Auftrieb. In den Talkshows wird das Thema von Politikerinnen und Politiker aller Parteien gewogen, gewendet und diskutiert. Großer Streit entbrennt regelmäßig über die Finanzierbarkeit eines solchen Grundeinkommens. Die progressiven Kräfte fordern eine Besteuerung der arbeitenden Maschinen. Die Konservativen glauben, dass eine Maschinensteuer in einer globalisierten Welt nicht durchsetzbar sei.
Auch die Gewerkschaften müssen sich notgedrungen mit dieser Thematik befassen, denn alle Lebensbereiche werden betroffen sein. Die Unterstützung des Menschen durch Roboter, so ist zu vermuten, wird auch in der Pflege und selbst im Strafvollzug Einzug halten, um das Personal von körperlich schwerer Arbeit zu entlasten. Wegen dieser absehbaren Folgen der Digitalisierung ist es vernünftig, sich frühzeitig mit dieser Thematik zu befassen.
Grundeinkommen wäre nichts anderes als eine Wohlverhaltensprämie
Arbeitsmarktexperten vertreten die Ansicht, dass es dem Menschen nicht angemessen ist, mit einer Wohlverhaltensprämie aufs Abstellgleis gestellt zu werden, weil seine Fähigkeiten für den Arbeitsprozess nicht benötigt werden und ihnen folglich keine Perspektive in der Erwerbsarbeit angeboten werden kann. Arbeit sei der Kitt unserer Gesellschaft, deren Funktion über den reinen Broterwerb weit hinausgehe. Arbeit strukturiere den Alltag, fördere sozialen Zusammenhalt und ermögliche soziale und wirtschaftliche Teilhabe.
Die Experten sind sich auch nicht schlüssig, wie sich ein bedingungsloses Grundeinkommen auf die Betroffenen auswirken würde. Schließlich sind wir alle nicht nur Intellektuelle, denen eine Selbstbeschäftigung ohne negative soziale Folgen und Verwerfungen zuzutrauen ist. Wie aber werden sich jene verhalten, denen das Bier und der Fernsehapparat zum Lebensinhalt geworden sind? Werden vermehrt Süchte entwickelt? Suchen sich die Menschen Herausforderungen außerhalb der eigenen vier Wände oder vereinsamen sie und stumpfen ab? Die Entwicklungsmöglichkeiten sind vielfältig, wollen aber gestaltet werden.
Die Entkoppelung von Lohn und Arbeit macht Gewerkschaften funktionslos
Die Gewerkschaften plädieren verständlicherweise für den Erhalt der Arbeit. Sie sehen Industrie und Politik in der Pflicht, durch die Digitalisierung und Globalisierung entfallende Arbeitsplätze anderweitig zu ersetzen. Jeder Erwerbstätige müsse auch unter den Bedingungen des technologischen Wandels eine Chance auf dem Arbeitsmarkt von morgen haben.
Gewerkschaften vertreten naturgemäß die Auffassung, dass es in einer sozialen Marktwirtschaft möglich sein muss, angemessene Erwerbsarbeit für alle Erwerbstätigen zur Verfügung zu stellen, damit jedem mit seiner Hände Arbeit der Broterwerb möglich ist.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre insoweit systemwidrig, weil es die Löhne von der Arbeit entkoppelt. Die Wirtschaft könnte in diesem Fall argumentieren, beim Lohn müsse Zurückhaltung geübt werden, um konkurrenzfähig zu bleiben. Außerdem wird befürchtet, dass ein Grundeinkommen den Prozess der Digitalisierung beschleunigen würde und Arbeitsplätze wegfallen könnten. Damit stünde die Funktion der Gewerkschaften als Tarif- und Sozialpartner zur Disposition.
Hellhörig sind die Gewerkschaften auch deshalb geworden, weil ein bedingungsloses Grundeinkommen gerade von neoliberalen Akteuren der Wirtschaft gefordert wird, um den signifikant hohen Wegfall an Arbeitsplätzen durch Digitalisierung sozial abzufedern.
Die Politik ist in der Pflicht
Nach den zu dieser Thematik angestellten Untersuchungen wird der durch Digitalisierung verursachte Wegfall von Arbeitsplätzen nach Auffassung der Wissenschaft überschätzt. Die Wissenschaftler nehmen an, dass sich Qualifikationsanforderungen verändern und Arbeitsfelder verlagern werden. Gleichzeitig müsse sich die Gesellschaft stabil auf eine hohe Zahl an Langzeitarbeitslosen einstellen
Die Gewerkschaften wollen allerdings die Politik nicht aus ihrer Verantwortung entlassen und erwarten, dass Steuergelder nicht in ein Grundeinkommen für die Verlierer der Digitalisierung und Globalisierung gesteckt werden. Diese Mittel sollten vielmehr in die Fort- und Weiterbildung investiert werden, damit freigestellte Kräfte für sozial nützliche Arbeiten für die Gesellschaft qualifiziert werden könnten. Die mit der Agenda-Politik geschaffene Angst vor dem Arbeitsplatzverlust muss nach Ansicht aus Gewerkschaftskreisen allerdings zwingend behoben werden. Sie ist Sprengstoff für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und muss deshalb bekämpft werden.
Friedhelm Sanker
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