Die Nachricht, dass bereits drei Impfstoffe unmittelbar vor ihrer Zulassung stehen, hat die Hoffnung genährt, die Pandemie künftig beherrschen und zu einem weitgehend „normalen“ Leben zurückkehren zu können. Bereits Mitte November hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dazu aufgerufen, eine allgemein gesellschaftliche Debatte über die Schutzimpfungen zu beginnen.
Nachdem zunächst Impfstoffe nur in begrenztem Umfang zur Verfügung stehen werden, hat sich u.a. der Ethikrat mit einer möglichen Impfreihenfolge beschäftigt. Ethikrat, Impfkommission und Leopoldina haben nunmehr ein einheitliches Konzept entwickelt, nachdem zunächst Kranke, Ältere und in zentralen Bereichen beschäftigte Menschen geimpft werden sollen.
Nachdem die zweite Welle der Pandemie eine erheblich größere Zahl von Infizierten zur Folge hat, als ursprünglich angenommen, muss sich jetzt auch der Vollzug zu Wort melden, damit das Infektionsgeschehen in den Vollzugseinrichtungen unter Kontrolle bleibt und dieser Bereich bei allen Erörterungen nicht übersehen wird.
BSBD Bund fordert schnelle Impfung
Der BSBD-Bundesverband hat sich deshalb dafür ausgesprochen, den Vollzug vorrangig bei den Schutzimpfungen zu berücksichtigen, weil ein Infektionshotspot in einer Vollzugseinrichtung nur schwer unter Kontrolle zu halten wäre. Zudem bestünden im Vollzug für die Isolierung von Infizierten und die Behandlung schwerer Verläufe von COVID-19-Erkrankungen nur geringe Kapazitäten.
In den Vollzugseinrichtungen, so der BSBD Bund, seien bereits Verunsicherung und Unverständnis spürbar. In Vollzugseinrichtungen lebten zahlreiche Menschen in räumlicher Enge zusammen. Der Mindestabstand könne nicht immer eingehalten werden, so dass lediglich die Alltagsmasken als Schutz zur Verfügung stünden.
Wegen des hohen Infektionsrisikos vertritt der BSBD die Auffassung, dass Vollzugseinrichtungen wie Krankenanstalten und Senioreneinrichtungen behandelt werden sollen. Es besteht jedenfalls eine hohe Dringlichkeit, mit den Schutzimpfungen in den Vollzugseinrichtungen möglichst frühzeitig zu beginnen. Schon jetzt sollten solche Impfaktionen vorbereitet werden, damit das erforderliche Personal rechtzeitig zur Verfügung steht.
Virus-Leugner behindern die Krisenbewältigung
Eine Herdenimmunität wird erst erreicht, wenn sich mindestens 50-60 Prozent der Bevölkerung haben impfen lassen. Ab diesem Zeitpunkt wäre dann ein weitgehend normales Leben wieder möglich. Da eine Impfpflicht nicht vorgesehen ist, sollten die Infektionsrisiken in den Vollzugseinrichtungen so gering wie irgend möglich gehalten werden.
Der BSBD NRW erneuert seine Anregung, alle Kolleginnen und Kollegen periodisch auf das SARS-CoV-2-Virus mittels Schnelltests untersuchen zu lassen. In der gegenwärtigen Phase der zweiten Infektionswelle wird es von größter Wichtigkeit sein, infizierte Betroffenen schnell zu ermitteln und zu isolieren, damit die Infektionen im Vollzug nicht unbeherrschbar werden.
Nachdem der Vollzug die erste Infektionswelle relativ gut überstanden hat, sind die derzeitigen Risiken, sich mit dem Virus anzustecken, deutlich angestiegen. Die durchaus beachtliche Zahl von Virus-Leugnern hat das Risiko für alle Bürger spürbar erhöht. Strafvollzugsbedienstete stehen deshalb in der konkreten Gefahr, sich außerhalb des Vollzuges zu infizieren und das Virus in die Einrichtungen zu tragen.
Vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern scheint diese Situation und das Erfordernis, Selbstdisziplin üben zu müssen, nicht sonderlich zu behagen. Wie sonst ist es zu verstehen, dass der Umstand, es könne so etwas wie Fakten oder wissenschaftliche Erkenntnisse geben, von vielen als gigantisches Täuschungsmanöver angesehen wird. Viele sind gegenwärtig eher bereit zu glauben, als sich von wissenschaftlichen Erkenntnissen überzeugen zu lassen.
Der Vollzug benötigt Strategie für die kommenden Monate
Die gesellschaftliche Spaltung treibt gegenwärtig auf den Punkt zu, den gemeinsamen Willen zum Überwinden der Krise nicht mehr aufzubringen. Wenn aber jeder seine individuellen Interessen zur Geltung bringt, dann stehen wir als Gesellschaft in der Gefahr, mit der Pandemie nicht mehr rational umzugehen. Ein Blick nach Asien verrät uns, dass Diktaturen mit ihren Restriktionen, die kaum Rücksicht auf den Einzelnen nehmen, die Corona-Infektionen im Griff haben. Ein vergleichbares Ergebnis werden wir angesichts unserer Freiheitsrechte nur erreichen, wenn wir willens und in der Lage sind, die erforderliche Selbstdisziplin aufzubringen.
Um die finanziellen Risiken zu begrenzen sind wir alle gefordert, den Nachweis zu erbringen, dass das Infektionsgeschehen auch unter den freiheitlichen Bedingungen einer Demokratie überwunden werden kann.
Der Vollzug muss auch deshalb darauf bedacht sein, Infektionen bestmöglich zu verhindern, weil sich gegenwärtig bereits viele Kolleginnen und Kollegen in häuslicher Isolation und Quarantäne befinden. Steigen diese Zahlen weiter an, dann ist abzusehen, dass die Vollzugseinrichtungen nach und nach ihre Funktionsfähigkeit einbüßen werden. Dies gilt es unbedingt zu verhindern.
Einheitliche Kriterien für vorrangige Schutzimpfungen unverzichtbar
Die durch den Bundesgesundheitsminister angestoßene Debatte über Rangfolgen bei möglichen Corona-Impfungen hat Fahrt aufgenommen. Thüringens Justizminister Dirk Adams hat sich dafür ausgesprochen, die Mitarbeiter des Vollzuges mit als Erste zu berücksichtigen. Der Grünen-Politiker wörtlich gegenüber der Deutschen Presse-Agentur: „Wichtig ist es, den Justizvollzug nicht zu vergessen, wenn wir über Impfpriorisierungen sprechen.“ Anlässlich der gegenwärtigen Herbstkonferenz der Justizminister hat Adams das Thema zur Sprache gebracht. Die Konferenz hat einen entsprechenden Beschluss gefasst.
Wenn über die Rangfolge bei Impfungen gesprochen wird, dann stehen das Krankenhauspersonal, die Pflegekräfte, Polizei oder auch Feuerwehr im Fokus. Diese Berufsgruppen sind wichtig, darüber darf aber der Vollzug nicht übersehen werden. Allein in Nordrhein-Westfalen arbeiten rd. 9.000 Kolleginnen und Kollegen in den Vollzugseinrichtungen. Würde hier dass Virus unkontrolliert um sich greifen, wären die Folgen unabsehbar. Während des Behandlungsprozesses sind die Bediensteten schließlich ganz nah an den Inhaftierten dran und diese Arbeit lässt sich eben nicht digitalisieren.
Im Vollzug gibt es kaum Bereiche, in denen Abstand gehalten werden kann. Das gilt für Krankenpflegekräfte, Ärzte, Sozialarbeiter, Psychologen und ganz besonders für den Allgemeinen Vollzugsdienst und Werkdienst, um nur einige zu nennen. Da ist es gut und sinnvoll, dass sich die Justizministerkonferenz dafür stark gemacht hat, dass den Kolleginnen und Kollegen die Schutzimpfungen vorrangig angeboten werden sollen.
Friedhelm Sanker
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