Zehn Monate vor der Bundestagswahl fasst die CDU ein ganz heißes Eisen an. Bislang waren Politiker jeglicher Couleur immer davor zurückgeschreckt, die Alterssicherungssysteme völlig neu zu regeln. Zu groß war der Respekt vor dem Widerstand der Betroffenen. Folglich wurde immer nur an den Symptomen herumkuriert. Was die Sozialpolitiker der CDU jetzt jedoch in einem Diskussionspapier zusammengetragen haben, gleicht einer sozialpolitischen Revolution.

Dabei ist der bestehende Handlungsbedarf, auf den sich die Politik beruft, teilweise erst in den letzten Jahren durch eine erhebliche Ausweitung der Leistungen der Rentenversicherung ausgelöst und verursacht worden.

Der Fachausschuss der CDU schlägt eine Vereinheitlichung der Alterssicherung vor, fordert eine längere Lebensarbeitszeit und die schrittweise Einbeziehung von Beamten, Politikern und Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung. Die Ausdehnung der Leistungen in den letzten Jahren hätte bei einer alternden Gesellschaft den Handlungsbedarf noch einmal deutlich erhöht.

CDU-Fachausschuss sieht dringenden Handlungsbedarf um die Rente dauerhaft zu sichern

Um die Finanzierbarkeit der Alterssicherung dauerhaft zu gewährleisten, sieht die CDU die Zeit jetzt für gekommen, um zupackend zu handeln. Die Politik müsse nunmehr vorausschauend agieren, um nicht in den kommenden Jahren zu Noteingriffen gezwungen zu sein. Die letzte Maßnahme zur Dämpfung der Ausgaben datiert aus dem Jahr 2007, als der damalige SPD-Arbeitsminister Franz Müntefering die Rente mit 67 auf den Weg brachte.

Der Bundesfachausschuss „Soziale Sicherung“ ist eine der einflussreicheren Arbeitsgruppen der CDU. Er hat jetzt einen Reformvorschlag präsentiert, der die Wellen hochschlagen lässt. Die Rente soll in der Zukunft völlig neu strukturiert werden. Die Abkehr vom Umlageverfahren hin zu einem kapitalgedeckten Rentenfonds vollzieht nach, was etliche unserer Nachbarn bereits vorgemacht haben.

Den Weg aus der Finanzmisere sollen konzertierte Einzelmaßnahmen weisen, die nach Auffassung der Autoren alle gesellschaftlich relevanten Gruppen gleichmäßig belasten. Die zwanzig Fachpolitiker der CDU-Arbeitsgruppe können sich eine deutlich verlängerte Lebensarbeitszeit, die Erweiterung der Beitragspflicht auf Einkünfte jenseits des Lohns ebenso vorstellen wie eine schrittweise Beitragspflicht für Beamte, Politiker und Selbstständige. Die erste Reaktion der Sozialverbände war geradezu euphorisch. Sie jubelten, weil die CDU endlich Maßnahmen ins Auge fassten, die lösungsorientiert seien und auf eine „Rente für alle“ hinausliefen.

Beitragspflicht der Beamten und Selbstständigen ist ein Kernpunkt der Reform

Die „Bild“-Zeitung wusste vor wenigen Tagen zu berichten, dass beginnend mit dem Jahr 2030 alle Beamten unter dreißig Jahren in die gesetzliche Rente überführt werden sollen. Alle, die diese Altersgrenze überschreiten, sollen in ihren bisherigen Alterssicherungssystemen verbleiben.

Die Regelaltersgrenze, so heißt es in dem Diskussionspapier, könne die aktuelle Grenze deutlich überschreiten. Würden notwendige Anpassungen auf die lange Bank geschoben, so die Autoren, stünde die Unfinanzierbarkeit der Rente im Raum. Deshalb müsse jetzt mutig gehandelt werden.

Der Staatsfond, in dem Teile der Beitragszahlungen angelegt werden sollen, wird dem Vorschlag zufolge zunächst jährlich 32 Milliarden Euro umfassen. Diese Summen sollen nach norwegischem Vorbild gewinnbringend am Kapitalmarkt platziert werden. Dem norwegischen Pendant gelingt es seit Jahrzehnten teils beachtliche Gewinne zu generieren.

Die Ausweitung der Beitragspflicht würde Mehreinnahmen generieren

Und auch die Beitragsbemessungsgrenze, die das Maß der Solidarität der Besserverdienenden erheblich begrenzt, soll mittelfristig geschliffen werden. Derzeit beträgt die Grenze im Westen 6.900 Euro und im Osten 6.450 Euro. Nach CDU-Vorstellung soll diese Grenze in zehn Stufen und über zehn Jahre gestreckt deutlich erhöht werden, bis letztlich Rentenbeiträge auf das gesamte Gehalt zu zahlen sind. Die Betroffenen erhalten im Gegenzug mehr Rentenpunkte, quasi als Äquivalent.

Das jetzt in die Medien gelangte Diskussionspapier soll in den kommenden Monaten in den Parteigremien ausgiebig erörtert werden. Bundestagsabgeordneter Kai Whittaker, einer der Vorsitzenden des CDU-Fachausschusses, erklärte, dass es noch in diesem Jahr einen Beschluss des Fachausschusses geben werde. Er verwies gleichzeitig darauf, dass der CDU-Parteivorstand den Ausschuss aufgefordert habe, über das Thema „Zukunft der Rente“ ohne Scheuklappen und Vorfestlegungen nachzudenken. Zu Beginn des kommenden Jahres, so der Fachpolitiker, werde das Papier in der CDU umfänglich diskutiert werden, bevor eine Beschlussfassung des Vorstandes anstehe.

Mehr Verteilungsgerechtigkeit könnte das Rentenproblem lösen

Die Ausgangslage der Arbeit des CDU-Fachausschusses bewertet Prof. Dr. Gerd Bosbach von der Hochschule Koblenz gänzlich anders. Der Mathematiker und Statistiker macht darauf aufmerksam, dass die demografische Verschiebung im letzten Jahrhundert größer gewesen sei, als sie für die Zukunft erwartet werde. Ein Blick auf die Bevölkerungspyramiden zeige im Übrigen, dass nicht die Staaten mit jungen Bevölkerungen wohlhabend seien, sondern jene mit den älteren. Bei der demografiebasierten Fortschreibung der Versorgungslasten würden mit statistischen Tricks angstauslösende Zahlen erzeugt.

Kleine jährliche Veränderungen würden über viele Jahrzehnte zusammengefasst, Steigerungen der Produktivität blieben außen vor, ebenso die Reserven des Arbeitsmarktes. Die Logik, so Bosbach, eine höhere Lebenserwartung schaffe mehr Rentner und weniger Menschen im Erwerbsleben erforderten massive soziale Einschnitte, bewahrheite sich im Rückblick auf das letzte Jahrhundert nicht.

Die Finanzierung der Renten und die damit verbundenen Probleme, erläutert Prof. Dr. Bosbach, seien keine Folge des demografischen Wandels, sondern eine Auswirkung der Verteilungspolitik der Bundesregierung, die seit vielen Jahren besonderen Wert auf die Förderung von Großvermögen und Arbeitgebern lege und nicht so sehr auf die auskömmlich Finanzierung der Alterssicherung bedacht sei.

Zur Erläuterung seiner Auffassung führt Bosbach aus, wenn man sich das volkswirtschaftliche Ergebnis unserer moderat wachsenden Wirtschaft als Kuchen vorstelle, dann werde der Kuchen von Jahr zu Jahr etwas größer, die Anzahl der Köpfe, auf den er verteilt werden könne, bliebe hingegen gleich oder schrumpfe angesichts der demografischen Entwicklung. Wenn man nun nicht vorab das größte Stück des Kuchens den Reichen und Unternehmern überlasse, sondern gleichmäßiger verteile, dann bliebe für jeden ein größeres Stück übrig.

Diese Ausführungen des Statistikexperten sind durchaus überzeugend und nicht von der Hand zu weisen. Die Finanzprobleme der gesetzlichen Rentenversicherung können auch einfach durch höhere Bundeszuschüsse gelöst werden, wenn im Gegenzug bei den Vermögenden unserer Gesellschaft die Steuerschraube moderat angezogen würde.

Sind Vergleiche der Beamtenversorgung mit der Rente zulässig?

In Öffentlichkeit und Medien wird immer wieder das im Vergleich mit der Rente hohe Niveau der Beamtenversorgung kritisiert. Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass ein umfassender Vergleich wegen der Unterschiedlichkeit der beiden Alterssicherungssysteme kaum möglich ist. Es gibt zwar durchaus erhebliche Unterschiede, doch meist werden dann Äpfel mit Birnen verglichen. Viele Aspekte, die für die Bewertung des Einzelfalles bedeutsam sind, bleiben zumeist auf der Strecke.

  • Übersehen oder ignoriert werden meist die nachstehenden Gesichtspunkte. Dabei sind sie für einen realistischen Faktencheck eigentlich unverzichtbar:
  • Die Vergleiche beruhen generell auf Bruttoangaben.
  • Versorgungsbezüge werden als Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit noch bis zum Jahr 2040 (Alterseinkünftegesetz) deutlich höher besteuert als Renten.
  • Ruhestandbeamte müssen aus ihren versteuerten Versorgungsbezügen noch die Kosten der beihilfekonformen privaten Krankenversicherung bestreiten.
  • Beamte haben in der Regel einen vollständigen Erwerbslebenslauf, während in die Rentenstatistik auch nur vorübergehende oder geringfügige Beschäftigungsverläufe vollständig einfließen.
  • Beamte haben gegenüber den übrigen Beschäftigungsbereichen ein deutlich höheres durchschnittliches Qualifikationsniveau (etwa zwei Drittel verfügen mindestens über einen Fachhochschulabschluss). Ein höheres Qualifikationsniveau führt zwangsläufig und völlig legitim zu höheren Bezügen und somit auch zu höheren Versorgungsleistungen.
  • Entgegen vergleichbaren tariflich Beschäftigten im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft erwerben Beamte keine zusätzlichen Altersversorgungsansprüche in Form einer ergänzenden betrieblichen Altersversorgung.
  • Die Beamtenversorgung beruht auf dem verfassungsrechtlich verbürgten Alimentationsprinzip und hat zugleich qualitätssichernde Funktion für den öffentlichen Dienst.

Die Beamtenversorgung ist verfassungsrechtlich garantiert

Nach den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne des Artikel 33 Abs. 5 GG schuldet der Dienstherr dem Beamten während des aktiven Dienstes und im Ruhestand jeweils eine amtsangemessene Alimentation. Die amtsangemessene Alimentation wird durch die eigenständige Beamtenbesoldung und Beamtenversorgung gewährleistet. Wegen dieser eigenständigen Sicherungen sind die Beamten nicht in die gesetzlichen Pflichtversicherungssysteme einbezogen.

In der amtlichen Begründung des Entwurfs des Bundesbeamtengesetzes von 1951 (Bundestagsdrucksache 28/46) heißt es zu Einkommen und Altersversorgung der Beamten: „Die Höhe der Besoldung ist gerade mit Rücksicht auf die Versorgung niedrig gehalten.“ Daran hat sich bis auf den heutigen Tag nichts Entscheidendes verändert.

Wenn die CDU diese Grundsätze jetzt auf den Prüfstand und damit zur Disposition stellt, dann ist sie offenbar auch bereit, das Grundgesetz in diesen Punkten zu ändern. Damit würde die Axt an das Berufsbeamtentum gelegt. Die Attraktivität des öffentlichen Dienstes würde ohne die Versorgung deutlich abnehmen. Es wäre schwierig, den erforderlichen Nachwuchs zu gewinnen, so dass die Funktionsfähigkeit des Staates gefährdet wäre.

Gerade die Corona-Pandemie hat uns nachdrücklich vor Augen geführt, welchen Wert eine verlässliche Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben darstellt. Mit dem jetzigen Reformvorhaben gefährdet gerade die so staatsgläubige CDU die Stabilität unserer Gesellschaft. Dabei ist dies völlig unnötig, weil es Regelungsalternativen gibt. Und eines ist auch klar, die Betroffenen werden sich gemeinsam mit ihren Interessenvertretungen unter Einsatz aller legalen Mittel diesen Bestrebungen entgegenstellen. Mit dem Reformvorhaben, das sollte der CDU bewusst sein, würde sie viele ihrer potenziellen Wählerinnen und Wähler verprellen. Das wäre eine schwere Hypothek für die 2021 anstehende Bundestagswahl.

Friedhelm Sanker

 Foto: MQ-Illustrations/stock.adobe.com

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Von BSBD NRW

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