Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Was war das für ein Jahr: 2020! Alles fing recht unscheinbar an. Die Berichte aus China über ein neues Virus klangen zunächst nicht sehr beängstigend. China war weit weg. Doch in einer globalisierten Welt dauert es nicht sehr lange, bis sich ein Virus von Kontinent zu Kontinent ausbreitet,
ein Virus, das darauf spezialisiert ist, sich neue Wirtsorganismen zu suchen, in deren Zellen es sich vervielfältigen kann. So war es auch bei SARS-CoV-2. Schneller als gedacht befanden wir uns mitten in einer Pandemie, auf die wir als Gesellschaft nur unzureichend vorbereitet waren. Wissenschaft und Politik hangelten sich von Erkenntnis zu Erkenntnis und folglich von Maßnahme zu Maßnahme. Sie lagen dabei nicht immer richtig, doch ihr Bemühen war erkennbar.
Auch weil man als Bürger die vom Corona-Virus ausgehende Gefahr nur unzureichend einschätzen konnte, hielten sich fast alle im Frühjahr an die angeordneten Restriktionen. Sehr schnell gingen die Infektionszahlen zurück. Frühling und Sommer taten ein Übriges. UV-Bestrahlung verträgt das Virus nicht sonderlich gut.
Die Angst wich zu schnell der Zuversicht
Bei vielen der meist jüngeren Zeitgenossen stellte sich bald die offenbar erfahrungsbasierte Überzeugung ein, das Virus könne ihnen nicht viel anhaben, weil sie im Falle einer Infektion mit einem milden Verlauf rechnen könnten. Diese Annahme sollte sich als falsch erweisen, weil das Virus sich selbst zwar nicht vermehren kann, dafür benötigt es eine Wirtszelle, aber genial darin ist, sich anzupassen und zu mutieren.
Obwohl viele Virologen warnten, ließen die relativ geringen Infektionszahlen des Sommers wohl auch die Verantwortlichen hoffen, das Schlimmste sei überstanden. Dass dem nicht so ist, erleben wir gegenwärtig. Ein harter Shutdown war folglich unumgänglich. Nicht nur die Politik hatte sich verkalkuliert, auch die Disziplin der Bevölkerung ließ spürbar nach.
Das Virus hat uns neue Erkenntnisse vermittelt
Gesellschaft, Wissenschaft und Politik mussten in den zurückliegenden Monaten eine beachtliche Lernkurve hinlegen. Dass in wenigen Monaten Impfstoffe entwickelt werden konnten, was normalerweise viele Jahre benötigt, ist ein Bravourstück der Forschung. Trotzdem ist die Verunsicherung groß. Die sozialen Medien tragen dazu bei, die Gesellschaft mit Verschwörungstheorien zu fluten und zu polarisieren. Dabei ist jetzt Solidarität gefragt. Selbst wenn die Impfungen jetzt anlaufen, wird eine Herdenimmunität erst erreicht, wenn mindestens 60 Prozent der Bevölkerung immunisiert sind. Bis dahin ist es noch ein langer Weg.
Solidarität will auch die Bundesregierung im Hinblick auf die Impfstoffverteilung mit den Ländern der Europäischen Union und allen übrigen Staaten üben. Obwohl ein wirksamer Impfstoff von BioNTech/Pfizer in Deutschland entwickelt wurde und teilweise auch hier hergestellt wird, verfügen Länder wie England und die USA über größere Kontingente und haben bereits Millionen von Bürgerinnen und Bürgern geimpft. Deutschland hat gerade einmal rd. 50.000 Menschen immunisiert. Da fragt es sich, ob diese Selbstbeschränkung tatsächlich vertretbar ist. Schließlich gehen die Konsequenzen einer solchen Politik zu Lasten jener rd. 1.000 Menschen, die derzeit täglich an oder mit dem Virus versterben.
Die Politik sollte das neu gewonnene Vertrauen nicht gleich wieder verspielen
Absolute Priorität hatte für die Politik bislang die Rettung von Menschenleben. Dafür hat sie sehr große finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt und ist Risiken eingegangen. Bei der Verteilung der Impfstoffe soll dieser Grundsatz jetzt offenbar nicht mehr gelten? Die Bundesregierung geht damit ein hohes politisches Risiko ein. Sollte sich erweisen, dass die Bundesregierung nicht alles getan hat, um Schaden vom eigenen Volk abzuwenden, wird das derzeit noch hohe Vertrauen schwinden.
Und dann ist da noch die Diskussion um „Sonderrechte für Geimpfte“. Vertreter der Bundesregierung sind strikt gegen Privilegien für Geimpfte. Hier spielt wohl die Angst mit, wegen zu geringer Impfkontingente Wähler verlieren zu können, wenn den Nichtgeimpften auch noch die Rückkehr in ihr normales Leben längere Zeit vorenthalten wird. Dabei ist die Rückkehr zur Normalität kein Privileg. Einschränkungen der persönlichen Freiheit dürfen nur solange erfolgen, solange es dafür einen Sachgrund gibt. Alles andere ist verfassungsrechtlich äußerst bedenklich.
Die Freiheitsrechte von Menschen ohne Ansteckungsgefahr für Dritte dürfen nicht eingeschränkt werden
Entscheidend dürfte vielmehr sein, ob Geimpfte nur selbst vor dem Ausbruch der Krankheit COVID-19 geschützt sind, oder ob die Impfung auch die Ansteckung Dritter sicher verhindert. Sollte nach der Impfung keine Ansteckungsgefahr für Dritte mehr bestehen, können diese Personen in ihr altes Leben zurückkehren. Alles andere halten Verfassungsrechtler für unvertretbar.
Mehr oder weniger schwere Monate liegen jetzt hinter uns. Ziehen wir ein Zwischenfazit, kommen wir nicht umhin festzustellen: Deutschland ist nicht der schlechteste Ort, um eine Pandemie durchzustehen. Ein Kollaps der medizinischen Versorgung ist ausgeblieben. Menschenleben und das Recht haben einen hohen Stellenwert. Freiheitsrechte werden nur mit Augenmaß eingeschränkt. Bei der Impfstoffentwicklung spielt Deutschland in der 1. Liga.
Sicher es sind auch Fehler gemacht worden und manchmal übertreiben wir es mit der europäischen Solidarität. Doch wenn man abzuwägen hätte, wo man in einer Pandemie leben wollte: Deutschland wäre nicht die schlechteste Wahl.
Ausblick
Nachdem die Impfungen angelaufen sind, werden wir hoffentlich im Laufe des kommenden Jahres mehr und mehr zur Normalität zurückkehren können. Wir werden uns daran machen müssen, die enormen Kosten der Pandemie gerecht auf die gesellschaftlichen Gruppen zu verteilen. Der Staat ist hier in der Pflicht, die starken Schultern durchaus mehr zu belasten, weil der Mittelstand eher einer Ent- als einer Belastung bedürfte. Geschieht dies nicht, leidet die Aussicht, sich mit seiner Hände Arbeit ein besseres Leben erarbeiten zu können. Das wäre der Tod jedes Leistungsgedanken und das Ende einer Gesellschaft, wie sie nach dem Krieg aufgebaut wurde.
Wir hoffen, dass sich die Politik ihrer Verantwortung für gerechte Problemlösungen bewusst ist. Sie wird zwar hier und da falsch liegen, aber die Richtung hin zu einer Gesellschaft, deren Einkommen nicht weiter auseinanderlaufen, sollte schon eingeschlagen werden. Die Schere zwischen Arm und Reich ist bereits jetzt viel zu weit aufgegangen.
Sollte sich die Entwicklung wie erhofft vollziehen, können auch die Strafvollzugsbediensteten mit einigem Optimismus ins neue Jahr gehen. Neben der Pandemie sind alle anderen Ereignisse des Jahres in den Hintergrund getreten. Wir wollen hoffen, dass wir im neuen Jahr wieder jene Dinge tun können, die uns wert und teuer geworden sind.
Der BSBD wünscht Ihnen einen ruhigen Jahreswechsel, ein glückliches und erfolgreiches neues Jahr mit vielen Möglichkeiten und Perspektiven für Sie persönlich und Ihre Angehörigen.
Was aber das absolut Wichtigste ist: Bleiben Sie gesund!
Mit kollegialen Grüßen
Ihr Ulrich Biermann
BSBD-Landesvorsitzender
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