Das Meinungsbild der Kolleginnen und Kollegen über die Ausgangsforderung der Gewerkschaften für die im kommenden Monat beginnenden Tarifverhandlungen war durchaus gespalten. Während die einen die Nase rümpften über zu viel Nachsicht mit den öffentlichen Arbeitgebern, votierte eine durchaus ansehnliche Gruppe dafür, in diesem Jahr gänzlich auf Einkommensverbesserungen zu verzichten.
Die absehbaren finanziellen Lasten, die durch die Corona-Pandemie, die Flutkatastrophe, den vermutlich wieder einsetzenden Flüchtlingszustrom und nicht zuletzt durch die von vielen Parteien propagierte grüne Umgestaltung der Wirtschaft ausgelöst werden dürften, stellten unsere Gesellschaft vor eine enorme Herausforderung. Folglich sprach sich diese Gruppe für Verzicht aus.
Für viele Dinge scheint der Staat Geld im Überfluss zu haben, doch gerade bei der attraktiven Bezahlung seines Personals ist schnell das Ende der finanziellen Fahnenstange erreicht. So darf das nicht weitergehen, weil sonst die Funktionsfähigkeit des Staates zur Disposition gestellt wird. Ohne funktionierendes Staatswesen können weder die Steuern effektiv erhoben noch die Finanzierung der Staatsausgaben effizient organisiert werden. Allein das Versagen bei der Unterbindung der Geldwäsche ist ein unrühmliches Zeichen dafür, dass wir in Bund und Ländern in vielen Bereichen schlecht aufgestellt sind. Dabei sollte allen politischen Akteuren klar sein, dass Mängel bei der Sicherheit und der Unterbindung kriminellen Handelns das Vertrauen der Bürger in die Politik untergräbt und letztlich zu Politik- und Demokratieverdrossenheit beiträgt.
Gewerkschaftsforderung zeugt von Augenmaß
Diese Rahmenbedingungen im Blick, hatten die Gewerkschaften angemessen und keinesfalls überzogen zu agieren. Fünf Prozent mehr Gehalt, mindestens jedoch 150 Euro, sind eine Forderung, die die genannten Kriterien beachtet. Die Forderung ist nicht zu niedrig, weil sie die Inflationsrate mehr als ausgleicht und keine Reallohnverluste bewirkt. Sie ist gleichzeitig aber auch nicht so hoch, als dass die Gebietskörperschaften sie nicht erfüllen könnten.
Arbeitgeber überziehen mit unrealistischen Vorstellungen
Obwohl die Gewerkschaften mit ihrer Forderung die Interessen unserer Gesellschaft sehr wohl beachten, verfolgt die Arbeitgeberseite weit restriktivere Vorstellungen und eine Strategie, die auf ein kostenneutrales Verhandlungsergebnis abzielt. Die Arbeitgeber wollen den Begriff des Arbeitsvorganges neu verhandeln und haben erklärt, keinen Tarifvertrag unterzeichnen zu wollen, der ihre Position und Einschätzung nicht berücksichtigt. Damit hat die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) die Messlatte für ein Scheitern der Verhandlungen von vornherein sehr niedrig gelegt.
Vom Hoch- zum Niedriglohnland
Als um die Jahrtausendwende die Arbeitslosenzahl auf 5 Mio. anschwoll, setzte Gerhard Schröder (SPD) mit der von ihm geführten rot-grünen Bundesregierung die Agenda 2010 durch. Ersonnen hatte die wesentlichen Reformschritte die Bertelsmann Stiftung. Mit der Umsetzung der Reform wurde der größte Niedriglohnsektor in Europa geschaffen. Zeitarbeit und unbefristete Arbeitsverhältnisse wurden erheblich ausgedehnt.
Die rot-grüne Reform war, das lässt sich nunmehr feststellen, durchaus erfolgreich. Viele Menschen, die ihr Glück in Deutschland suchten, fanden auch ohne große Sprachkenntnisse Beschäftigung. Der Überschuss an Arbeitskräften, an sich eine Binsenweisheit, bewirkte, dass die Lohnabschlüsse über fast zwei Jahrzehnte sehr moderat ausfielen. Am Ende der Entwicklung war Deutschland von einem einstigen Hochlohn- in ein Niedriglohnland verwandelt worden.
Die Entwicklung vollzog sich von den Betroffenen nahezu unbemerkt. Wann vergleicht man sein Gehalt schon mit dem in anderen Ländern. Einen ebenso dramatischen wie nachhaltigen Effekt hatten die geschaffenen prekären Beschäftigungsverhältnisse auf die Entwicklung der Entlohnung. Personen in geringfügiger Beschäftigung organisieren sich eben meist nicht in einer Gewerkschaft. Damit ging der Organisationsgrad deutlich zurück. In vielen Bereichen konnten gar keine Tarifverträge mehr abgeschlossen werden, so dass letztlich ein Mindestlohn eingeführt werden musste, um die Ausbeutung nach unten zumindest zu begrenzen.
Erst wenn man einmal die Grenze zur benachbarten Schweiz überschreitet und sich eine Currywurst leistet, wird einem bewusst, dass lohntechnisch doch einiges ins Rutschen geraten ist. Schweizer halten 12,oo Euro für eine Currywurst für ziemlich normal, Deutsche fallen aus allen Wolken.
Stille Enteignung durch Null-Zins-Politik und Inflation
Weil die Lieblingsanlage der Deutschen, das Sparen, wegen der Null-Zins-Politik der Europäischen Zentralbank auch keinen Ertrag mehr bringt und die durch die EZB befeuerte Inflation stetig steigt, kommen auf in Deutschland Beschäftigten erhebliche Kaufkraftverluste zu. Es ist folglich an der Zeit gegenzusteuern.
Die GDL hat versucht, mit dem Mittel des Streiks weitere Kaufkraftverluste zu verhindern. Gewerkschaftschef Claus Weselsky wird deshalb seitens der Medien gerade als Buhmann vorgeführt. Er nähme die Bahnkunden in Geiselhaft für seine Interessen, wird ihm vorgeworfen. Selbst DGB-Chef Hoffmann kritisierte die Lokomotivführer als unsolidarisch. Das ist schon ein starkes Stück, einer im Arbeitskampf befindlichen Gewerkschaft derart in den Rücken zu fallen. Dabei versucht die GDL nur, Kaufkraftverluste zu Lasten ihrer Mitglieder zu vermeiden.
Natürlich ist es für die Konkurrenzgewerkschaft peinlich, dass der GDL zwischenzeitlich ein wesentlich besserer Abschluss gelungen ist. Die EVG hatte nämlich für das laufende Jahr einer Nullrunde zugestimmt, während die GDL den ersten Schritt der Einkommenserhöhung für das laufende Jahr durchgesetzt hat. Daneben konnte die GDL eine pandemiebedingte Ausgleichszulage und das erneute Inkrafttreten des Zusatzversorgungs-Tarifvertrages durchsetzen. Versorgungseinbußen sind damit für das vorhandene Personal erst einmal vom Tisch.
Eines kann man GDL-Chef Weselsky nicht nachsagen: Er ist mit Vorstandsposten nicht zu ködern. Mit der EVG hat es die Bahn da leichter. Hier findet einer reger Wechsel auf lukrative Vorstandsposten der Bahn statt. Die letztlich erfolgreichen Verhandlungen der GDL haben für uns aber eines gezeigt: Es wird im Tarifjahr 2021 mit harten Bandagen gekämpft. Doch auch wir werden erfolgreich sein, wenn es uns gelingt, den erforderlichen Einigungsdruck auf die öffentlichen Arbeitgeber auszuüben.
Bundestagswahl ist ein unbekanntes Risiko für den Steuerzahler
Nach der Bundestagswahl werden in jedem Fall enorme Kosten auf den Steuerzahler zukommen, wenn in kurzer Zeit der grüne Systemwechsel erreicht werden soll. Die Parteien unterscheiden sich lediglich bei der Höhe der Zumutungen. Dummerweise erklären die Parteien nicht, mit welchen Belastungen der Einzelne konkret zu rechnen hat. Da bewegen sie sich vorsorglich im Bereich des Nebulösen, um keine Stimmen zu riskieren. Der Wähler wird folglich gezwungen, die Katze im Sack zu kaufen. An sich ein Unding und nicht akzeptabel!
Offenbar wollen wir es aber auch nicht genauer wissen, weil nach den Kosten des grünen Umbaus der Wirtschaft und unseres Lebens kaum gefragt wird. Wir wollen auch nicht genau wissen, welche Konzepte am besten geeignet sind; Hauptsache es ändert sich etwas. Da wollen wir mal hoffen, dass alle Beteiligten wissen, was sie tun und es am Ende kein böses Erwachen gibt.
Ein Kaufkraftverlust muss verhindert werden
Es zeigt sich, dass die Rahmenbedingungen für die diesjährigen Tarifverhandlungen alles andere als günstig sind. Trotzdem sind die Gewerkschaften entschlossen, eine deutliche Anhebung der Einkommen sowie die Übernahme der im Beamtenbereich bereits gezahlten Pflegezulage durchzusetzen, damit nicht abermals ein Kaufkraftverlust eintritt. Dies ist ein moderates Ziel. Es ist aber den Schweiß der Edlen wert, zumal sich in den Bereichen, in denen die neue Bundesregierung enorme Steuermittel investieren wird, bereits viele Profiteure der wirtschaftlichen Neuausrichtung die Hände reiben.
Wir sind allerdings alle aufgerufen, unsere Verhandlungsführer bestmöglich zu unterstützen. Gute Ergebnisse werden erzielt, wenn Druck auf den Verhandlungspartner ausgeübt werden. Wir werden uns deshalb voraussichtlich auf den Straßen der Republik wiedersehen, wenn wir solidarisch Präsenz zeigen für unsere berechtigten Forderungen. Ein ordentliches Verhandlungsergebnis hängt eben nicht nur von der Qualität der Verhandlungsführer ab. Für ein gutes Verhandlungsergebnis trägt jedes einzelne Gewerkschaftsmitglied Verantwortung. Alle Kolleginnen und Kollegen sind deshalb aufgerufen, notfalls durch Streiks oder Demonstrationen den Druck zu erzeugen, der bei den öffentlichen Arbeitgebern den erforderlichen Einigungswillen bewirkt.
Friedhelm Sanker
Bild: hkama stock.adobe.com
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