Die von Gerhard Schröder (SPD) geführte rot-grüne Koalitionsregierung führte zu Beginn der Nullerjahre einen Niederiglohnsektor ein, um die damals hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Dieses Ziel wurde erreicht. Doch weil anschließend nicht rechtzeitig gegengesteuert wurde, sank in den folgenden beiden Jahrzehnten das gesamte Lohnniveau deutlich ab. Deutschland ist schon lange kein Hochlohnland mehr.
Die Schere zwischen Arm und Reich öffnete sich folglich in einem bis dahin undenkbaren Ausmaß. Jetzt hat sich die Ampelkoalition die Erhöhung des Mindestlohns und Verbesserungen bei den Mini- und Midijobs auf die Fahnen geschrieben. Sie stabilisiert damit den Niedriglohnbereich und folglich ein relativ niedriges Einkommensgefüge.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat bereits einen Gesetzentwurf vorgelegt. Ab dem 1. Oktober soll der Mindestlohn auf 12 Euro steigen. Zeitgleich sollen Minijobber künftig 520 Euro statt bisher 450 Euro abzugsfrei erhalten können. Die Grenze für sogenannte Midijobs soll auf 1.600 Euro angehoben werden. Die Anhebung der Grenzen für Mini- und Midijobs geht auf die Kritik von Unternehmen zurück, die beklagt hatten, dass durch die Erhöhung des Mindestlohns die Stundenzahl für Mini- und Midijobs zwangsläufig sinke, was diese Beschäftigungsformen unattraktiv mache.
Speziell die FDP trat für die Anhebung der Einkommensgrenze für Minijobber ein, weil sonst der der Mindestlohn von 12 Euro eine beträchliche Reduzierung der Arbeitszeit bewirkt hätte. In einem Minijob sollen aber 10 Stunden wöchentlich gearbeitet werden können. Die FDP spricht sich deshalb auch für eine Dynamisierung der Einkommensgrenzen für den Fall aus, der der Mindestlohn künftig weiter steigen wird.
Liberalisierung des Arbeitsmarktes bescherte uns den Niedriglohnbereich
Als diese Beschäftigugnsformen durch die seinerzeit rot-grüne Bundesregierung eingeführt wurden, war sich die Politik darüber im klaren, dass sie ein Projekt mit lohnnivellierender Wirkung schaffen würde. Dieser Effekt wurde billigend in Kauf genommen, weil er zugleich die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen verbesserte. Dass Mini- und Midijobs auch zur Verdrängung von regulären Arbeitsverhältnissen führen würde, wurde durchaus gesehen. Man ging dieses Risiko jedoch ein, um mehr Menschen in Arbeit zu bringen.
Kritik von Unternehmen und Gewerkschaften an dem jetzigen Vorhaben der Ampelkoalition ließ nicht lange auf sich warten. Arbeitgebervertreter bemängeln den starken Anstieg des Mindestlohns und die Einmischung des Staates in die Belange der Tarifpartner. Schließlich sehe das Mindestlohngesetz vor, dass der Mindestlohn alle zwei Jahre durch eine unabhängige Kommission der Tarifpartner angepasst werde. Die Kommission besteht aus Vertretern der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Sie wird von Wissenschaftlern beraten. Im Gegensatz zu der Arbeitgeberseite sind die Gewerkschaften von der Anhebung der Einkommensgrenzen für Mini- und Midijobs nicht begeistert.
Regierung löst SPD-Wahlversprechen ein
Mit der jetzigen Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro weicht die Ampelkoalition mit ihrem Gesetzentwurf vom bisherigen Verfahren ab. Schließlich stand die SPD ihren Wählerinnen und Wählern im Wort, weil die Anhebung des Mindeslohns eines ihrer zentralen Wahlversprechen war.
Ab Oktober werden rd. 10 Millionen Arbeitnehmer von der Erhöhung des Mindestlohns profitieren können. Welche Auswirkungen diese Anhebung für die Beschäftigung in Deutschland haben wird, lässt sich nur schwer einschätzen. Bei der erstmaligen Einführung des Mindestlohns lagen viele Studien, die den Verlust zahlreicher Arbeitsplätze prognostiziert hatten, krass falsch.
Auswirkung auf den Arbeitsmarkt ungewiß
Viele Ökonomen gehen im Hinblick auf die Beschäftigungseffekte der Mindestlohnerhöhung von der sogenannten „Kipppunkt-Theorie“ aus. Diese Theorie besagt, dass die bislang eher neutralen Auswirkungen des Mindestlohns auf die Beschäftigung ab einer bestimmten Höhe ins Negative umschlagen kann. Bei welchem Betrag dieser Kipppunkt anzusiedeln ist, bleibt auch in Expertenkreisen umstritten.
Die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro/Stunde wird zu erheblichen Einkommenszuwächsen im unteren Lohnsegment führen. Die Erhöhung wird sich nicht eins zu eins in vermehrte Kaufkraft umsetzen, da sie teilweise durch niedrigere Transferzahlungen und Aufstockungsleistungen kompensiert wird. Es bleibt jedoch zu hoffen, das die deutliche Erhöhung des Mindestlohns nicht gänzlich durch die derzeit hohe Inflation aufgezehrt wird.
Von der Ampelkoalition wurde eine Reduzierung des Niedriglohnsektors erhofft
Zu kritisieren ist, dass Neben dem Mindestlohnauch die Grenzwerte für Mini- und Midijobs angehoben werden. Auch für uns Strafvollzugsbediesntete wäre ein Verzicht auf diese Anpassung eine gute Nachricht gewesen. Der steigende Mindestlohn hätte dann dazu geführt, dass Arbeitnehmer weniger als die bislang möglichen zehn Wochenstunden hätten arbeiten dürfen. Dies hätte vermutlich zu einer Zurückdrängung dieser Beschäftigungsform und des Mißbrauchs geführt. Reguläre Beschäftigungsverhältnisse hätten sich in diesem Fall schwerer in Mini- und Midijobs aufteilen lassen.
Mit der Erhöhungder Einkommensgrenzen tritt dieser Effekt nicht mehr ein. Der nivellierende Druck auf alle Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit bleibt unverändert erhalten. Und auch die Umwandlung von regulärer Arbeit in Teilzeit-, Mini- oder Midijobs bleibt für Unternehmen ökonomisch attraktiv.
Gerade die Corona-Pandemie hat aber gezeigt, dass auch für geringfügig Beschäftigte im Ernstfall der Schutz vor Arbeitslosigkeit und der Anspruch auf Krankengeld unverzichtbar sind. Für die spätere Rente bringen Minijobs nichts. Es droht vielmehr die Altersarmut.
Es wäre den Schweiß der Politiker wert gewesen, diese Beschäftigungsverhältnisse in vollem Umfang in die Sozialversicherung einzubeziehen und die Kosten dafür ausschließlich von den Arbeitgebern zahlen zu lassen. Bei steigendem Bruttolohn hätten die Arbeitnehmer dann bis zum Erreichen der Parität an der Finanzierung der Sozialabgaben beteiligt werden können.
Die Ampelkoalition will verhindern, dass Minijobs reguläre Arbeitsverhältnisse verdrängen oder zur Teilzeitfalle insbesondere für Frauen werden. Erreicht werden soll dies mit stärkeren Kontrollen des Arbeitsrechts. Ob das jedoch gelingt, steht in den Sternen, zumal es in der Vergangenheit auch nicht funktioniert hat.
Bei geringem Organisationsgrad stagnieren Besoldung, Lohn und Gehalt
Grundsätzlich ist es traurig, dass überhaupt ein Mindestlohn benötigt wird. Der Bedarf macht deutlich, dass die Gewerkschaften immer weniger Menschen organisieren und deshalb nicht in der Lage sind, in allen Branchen Tarifverträge durchzusetzen. Von dieser Entwicklung ist bislang nur der öffentliche Dienst verschont geblieben. Die Mitgliedszahlen von BSBD und DBB erweisen sich als stabil. Was wir aber erkennen müssen, ist doch die Tatsache, dass Besoldung, Löhne und Gehälter prinzipiell stagnieren, wenn der gewerkschaftliche Organisationsgrad sinkt. Und das dicke Ende kommt zum Schluss, wenn die Betroffenen mit Eintritt in den Ruhestand direkt aus dem Niedriglohnbereich in die Altersarmut wechseln müssen.
Seit im Niedriglohnsektor die Löhne nicht mehr durch Tarifvertrag vereinbart werden und oftmals reguläre in prekäre Beschäftigung umgewandelt wird, hat sich der Druck auf die Einkommen in Deutschland erhöht.
Vom Hochlohnland der 1990er Jahre haben wir uns zu einem Land entwickelt, in dem Arbeit maximal noch durchschnittlich bezahlt wird. Jeder der daran interessiert ist, dass sich diese Entwicklung nicht fortsetzt, sondern möglichst umkehrt, der muss ein Interesse an einem hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad haben.
Friedhelm Sanker
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