Die erste Sitzung in diesem Jahr war recht früh für Mitte März terminiert, weil die Corona-Pandemie in den letzten beiden Jahren viele Präsenzveranstaltungen verhindert hatte. Der BSBD-Hauptvorstand, das höchste Entscheidungungsgremium zwischen den Gewerkschaftstagen, hatte sich vorgenommen, die für die kommenden Monate geplanten gewekschaftlichen Initiativen und deren inhaltliche Ausgestaltung zu diskutieren.
Zudem stand die Auswertung und Analyse der Tarifrunde 2021 ebenso auf der Tagesordnung wie die Erörterung konkreter Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung aller Laufbahnen des Vollzuges. Überstrahlt wurde die Zusammenkunft allerdings durch Putins menschenverachtenden Überfall auf die Ukraine. Seit Monatsfrist lässt Putin Raketen und Bomben auf eine weitgehend schutzlose Zivilbevölkerung abwerfen. Da der räumliche Vormarsch der russischen Armee durch den so nicht erwarteten tapferen Widerstand der Ukraine ins Stocken geraten ist, versucht der russische Präsident, mit Terror gegen Zivilisten die Kampfmoral der Ukraine zu brechen.
Vor den annähernd 60 Delegierten aus den Ortsverbänden des Landes verurteilte BSBD-Chef Ulrich Biermann den Krieg Russlands gegen die Ukraine als barbarischen Akt. „Wir hatten gehofft, dass Krieg für unsere Generation der Vergangenheit angehört. Jetzt müssen wir erleben, dass der russische Präsident diese Hoffnung nicht teilt, sondern Russland zur Sowjetunion 2.0 entwickeln will. Er denkt wieder in Einflusssphären, in denen sich das Recht des Stärkeren durchsetzt. Wenn die Ukraine sich dem Aggressor mutig und tapfer entgegenstellt, dann kämpft sie um ihre Unabhängigkeit und ihre individuelle Freiheit. Sie kämpft aber auch für westliche Werte und unsere Art zu leben. Wir sind daher aufgerufen, alles zu unternehmen, damit Putins Krieg keinen Erfolg haben wird.“
Der Ukraine-Krieg war ein beherrschendes Thema
Während der Gewerkschaftssitzung trat in Berlin der Bundestag zusammen. Der charismatische ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj war per Videoübertragung zugeschaltet und hielt eine beeindruckende Rede. Er beschwor Bundesregierung und Parlamentarier, sein Land stärker und noch intensiver zu unterstützen, um es durch Lieferung schwerer Waffen in die Lage zu versetzen, sich gegenüber dem Aggressor zu behaupten. Der Kampf der Russen richte sich mehr und mehr gegen zivile Einrichtungen und mache auch vor Krankenhäusern, Kindergärten und Schulen nicht Halt. Die Menschen in der Ukraine, so Selenskyj, benötigten eine Perspektive, nicht auf verlorenem Posten zu kämpfen. Er machte darauf aufmerksam, dass Putin spätestens mit dem Angriff auf die Ukraine bewiesen habe, dass er sich durch Verträge nicht stoppen lasse. Deshalb stehe die Freiheit ganz Europas zur Disposition. Nach der Rede des Präsidenten erhoben sich Kanzler und Regierungsmitglieder sowie die sichtlich beeindruckten Parlamentarier und applaudierten minutenlang.
Wer jetzt zumindest mit einem kurzen Statement von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gerechnet hatte, der wurde bitter enttäuscht. Die Videoübertragung wurde beendet und die Bundestagsvizepräsidentin fuhr in der Tagesordnung fort. Dieser Kontrast hätte härter kaum sein können. Auf der einen Seite kämpfte der ukrainische Präsident emotional und engagiert für sein Volk, auf der anderen Seite ging ein saturiertes Parlament einfach zur Tagesordnung über, als hätte der Krieg in der Ukraine mit uns nur periphär zu tun. Als Beobachter war man peinlich berührt und als Deutscher geneigt, im Boden zu versinken.
Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) war es zu verdanken, dass er Bundeskanzler und Bundesregierung sehr pointiert und nachdrücklich darauf hinwies, dass man so mit einem Präsidenten, der mit seinen Bürgerinnen und Bürgern tagtäglich ums Überleben kämpft, nicht umgehen könne und Wolodymyr Selenskyj zumindest eine Antwort durch Bundeskanzler Olaf Scholz verdiene. Aber es nutzte nichts. Auch die harsche Kritik der Opposition half nicht. Von Regierungsseite wurde eisern geschwiegen. Bundeskanzler Scholz sollte seine Sprachlosigkeit erst einige Tage später überwinden.
Von einer Sternstunde des deutschen Parlaments und der Regierung konnte wahrlich nicht die Rede sein. Es war vielmehr eine Peinlichkeit, Präsident Wolodymyr Selenskyj wie einen lästigen Bittsteller zu behandeln, wo die Ukraine doch letztlich westliche Werte und auch unsere individuelle Freiheit gegen einen überlegenen Aggressor verteidigt.
In der Krise Stehvermögen beweisen
In den zurückliegenden zwei Jahren hat sich eine Krise nach der anderen vor uns aufgetürmt. Es scheint so, als könnten wir den Krisenmodus gar nicht mehr hinter uns lassen. Nachdem das Ende der Corona-Krise schon desöfteren ausgerufen wurde, mussten wir feststellen, dass das Virus überaus wandelbar ist, wenn ihm genügend „Wirte“ zur Verfügung stehen. Die hoch ansteckende Omikron-Variante sorgt aktuell für rekordverdächtige Infektionszahlen, weil in Deutschland nicht genügend Menschen immunisiert sind.
Dann stellte sich aufgrund der Corona-Schutzmaßnahmen eine Finanzierungskrise ein, die zugleich eine hohe Inflation im Gefolge hatte. Und zu allem Überfluss bricht Russlands Putin einen Krieg vom Zaun, der uns Deutsche besonders trifft, weil wir uns in den letzten zwanzig Jahren energiepolitisch von Russland vollständig abhängig gemacht haben. Zusätzlich kommen erhebliche Kosten für vermutlich Millionen von Flüchtlingen auf uns zu, die Versorgung und Unterkünfte benötigen.
Deutschland wähnte sich lange in einer Lage, in der man sich um die eigene Sicherheit keine großen Gedanken machen musste und nach Ende des Kalten Krieges die Friedensdividende kassieren konnte. Man befand sich schließlich sicher und warm unter dem Schutzschirm der Amerikaner. Erst als Donald Trump partout die Mitgliedschaft der USA in der Nato aufgeben wollte, dämmerte es uns, dass wir mehr für unsere Sicherheit investieren müssen. Mit Putins Krieg ist klar, wir werden unsere Sicherheit künftig selbst auf europäischer Ebene organisieren müssen. Wie stünden wir sonst da, wenn Trump die kommenden Präsidentschaftswahlen gewinnt und den Nato-Austritt tatsächlich vollzieht? Wer möchte schon auf Beistandszusagen von Donald Trump angewiesen sein?
Schwierige Rahmenbedingungen machen Gewerkschaftsarbeit zur Herausforderung
Fast alle Krisen sind mit nicht unerheblichen Kosten für den bundesdeutschen Steuerzahler verbunden. Dies veranlasste BSBD-Chef Ulrich Biermann zu dem Hinweis, dass die Durchsetzung gewerkschaftlicher Forderungen nie leicht gewesen sei. Dies gelte besonders in der aktuellen Situation. „Wer der irrigen Auffassung ist, Forderungen müssten nur effizient bei den Regierenden an den Mann oder an die Frau gebracht werden, dann würden die Argumente ihre Wirkung schon entfalten und die Poltiker entsprechend handeln, der übersieht, dass es mehr Fianzierungswünsche gibt, als Steuergelder zur Verfügung stehen. Deshalb geht es immer um Prioritäten und an denen arbeitet die BSBD-Landesleitung unermüdlich“, stellte Biermann klar.
In den zurückliegenden Monaten, so Biermann, sei in zahlreichen Gesprächen, Kontakten und Anhörungen bei der Landespolitik intensiv für unsere Anliegen, Vorstellungen und Forderungen geworben worden. So manches „Samenkorn“ habe man hoffentlich in ertragreichen Boden gelegt, so dass man begründet Hoffnung auf künftige Erfolge haben könne. Neben der Hoffnung sei allerdings auch Geduld gefragt. Demokratische Entscheidungsprozesse seien mitunter langwierig und es dauere, bis sich Mehrheiten bildeten, erläuterte der Gewerkschafter.
Rückblick und Ausblick auf das Tarifgeschehen
Breiten Raum nahmen die Erörterung und Analyse der letztjährigen Tarifverhandlungen ein. Je mehr Zeit verstreiche, erklärte der BSBD-Vorsitzende Ulrich Biermann, desto problematischer erscheine der Tarifabschluss. Die Inflation gehe nicht, anders als von der Europäischen Zentralbank prognostiziert, zurück, sie sei vielmehr noch im Steigen begriffen.
Gerade konnten wir uns über eine Coronazulage von 1.300 Euro freuen. Allzu viel wird davon aber nicht bleiben. Und im kommenden Jahr fallen die inflationsbedingten Zusatzkosten ohne einen angemessenen finanziellen Ausgleich (2,8 Prozent) an. Realer Kaufkraftverlust ist die zwangsläufige Folge. Ganz hart, so Biermann, erwische es die Versorgungsempfänger, die ja bekanntlich keine Corona-Zulage erhalten hätten. Sie müssten den Gürtel tatsächlich deutlich enger schnallen. Dabei gebe es zahlreiche Versorgungsempfänger, die mit ihren Bezügen bereits derzeit kaum noch über den Monat kämen.
Und wenn Ende des kommenden Jahres die nächste Tarifrunde aufgerufen wird, werden die Bedingungen kaum besser sein. Die Aussichten auf einen Abschluss deutlich oberhalb des Kaufkraftverlustes sind nicht sehr rosig. Schließlich muss sich erst erweisen, dass unsere Wirtschaft widerstandsfähig genug ist, um kriegs- und coronabedingte Beeinträchtigungen der Lieferketten ohne Wachtumseinbußen wegzustecken.
Die BSBD-Tarifexpertin Birgit Westhoff ergänzte, dass die nächste Tarifrunde sorgfältiger Vorbereitung bedürfe. Ihr sei es dabei wichtig, den Kolleginnen und Kollegen angesichts der aufwühlenden Zeiten realistische Forderungen vorzuschlagen. „Wir müssen es vermeiden, zu hohe Erwartungen zu wecken, die wir nicht durchsetzen können. Wir müssen unsere gewerkschaftlichen Möglichkeiten und Grenzen transparent diskutieren, um bei den Kolleginnen und Kollegen Enttäuschungen zu vermeiden“, umriß die Gewerkschafterin die Aufgaben für die nächste Tarifrunde.
Ziel muss es nach Ansicht von Birgit Westhoff sein, zumindest einen Ausgleich für die hohe Inflation durchzusetzen. Die Realisierung dieser Forderungen werde schwer genug, weil sie von der aktuellen Wirtschaftskraft, den Abschlüssen in anderen Branchen und dem Bestreben der Arbeitgeberseite beeinflusst würde, das Entstehen einer Lohn-Preis-Spirale zu verhindern. Was aber unbedingt wieder auf den Verhandlungstisch gehöre, sei die Pflegedienstzulage. In den Verhandlungen mit dem Land Hessen habe sich die „Tarifgemeinschaft deutscher Länder“ (TdL) überaus konstruktiv verhalten, während die Haltung der TdL in der Tarifrunde für die restlichen Bundesländer absolut schäbig und destruktiv geprägt war. In der kommenden Tarifrunde müsse dem Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ wieder die ihm zukommende Geltung verschafft werden, machte Birgit Westhoff die Position des BSBD NRW deutlich.
Die Landtagswahl wirft ihre Schatten voraus
Ulrich Biermann wagte einen Blick voraus in die Zukunft. Im Mai stehe die nächste Landtagswahl an und es sei ungewiss, ob es zu einem Regierungswechsel kommen werde. Zwar sei die CDU nach den Ergebnissen der Meinungsumfragen immer noch stärkste politische Kraft im Land, doch die hohen Werte, die Bündnis 90/Die Grünen gegenwärtig erreiche, ließen neue Mehrheiten nicht unwahrscheinlich erscheinen.
Dabei seien unsere Interessen bei der amtierenden schwarz-gelben Koalition nicht schlecht aufgehoben gewesen. Die Regierung habe zu Beginn der Legislaturperiode erklärt, verstärkt in die öffentliche Sicherheit investieren zu wollen. „Und sie hat Wort gehalten. Seit 2017 hat Justizminister Peter Biesenbach (CDU) die zugesagten 1.000 Stellen zur Behebung der ärgsten Personalprobleme im Vollzug tatsächlich mit den verabschiedeten Haushalten schaffen können. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie es unter den Bedingungen der Pandemie in den nordrhein-westfälischen Vollzugseinrichtungen aktuell aussähe, gäbe es diese Stellen nicht“, lobte der BSBD-Vorsitzende.
Zwar seien noch nicht alle Stelle besetzt, so Biermann, doch sei mit der Verfügbarkeit der Stellen eine wichtige Voraussetzung zur Verbesserung der Personallage erfüllt. Jetzt seien die einzelnen Vollzugseinrichtungen in der Verantwortung, im Bereich der Nachwuchsgewinnung kreative, innovative Ideen zu entwickeln.
Im weiteren Verlauf der Sitzung wurden zahlreiche weitere Themen, die gegenwärtig von der BSBD-Landesleitung an die politischen Akteuren im NRW-Landtag herangetragen werden, diskutiert, um den Auffassungen der Ortsverbände bei diesen Fragestellungen angemessen Geltung zu verschaffen.
Zum Abschluss der Veranstaltung erklärte Ulrich Biermann, dass vom Ausgang der Landtagswahl abhänge, ob die Politik auch künftig einen Schwerpunkt bei der Verbesserung der öffentlichen Sicherheit setzen werde. Wünschenswert, so der Gewerkschafter, sei dies, damit die erreichten Verbesserungen in diesem Bereich und speziell auch im Strafvollzug nicht wieder versandeten. „Wir vom BSBD NRW werden unser Bestes geben, um, unter welcher politischen Konstellation auch immer, die Interessen der Strafvollzugsbediensteten effizient und erfolgreich zu vertreten“, umriß Ulrich Biermann die anstehenden Aufgaben für die Gewerkschaft Strafvollzug.
Friedhelm Sanker
Fotos:BSBD NRW
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