Am späten Abend des 29. März 2023 zeichnete sich ab, dass die Arbeitgeberseite nicht bereit sein würde, den Kolleginnen und Kollegen zu geben, worauf diese so dringend angewiesen sind: Einen Inflationsausgleich, der diesen Namen auch verdient. Die Gewerkschaften erklärten daraufhin die Verhandlungen für gescheitert.
Die Arbeitgeber, das wird auch von unabhängigen Beobachtern bestätigt, wollten gegen die Interessen der Beschäftigten ein Lohndiktat durchsetzen und einen erheblichen Reallohnverzicht erzwingen. Immer wieder haben Politiker in den letzten Monaten ihre Wertschätzung gegenüber den Leistungen des öffentlichen Dienstes zum Ausdruck gebracht. Verlangen die Kolleginnen und Kollegen jedoch ihren gerechten Lohn, dann ist von Wertschätzung nichts mehr zu spüren.
Noch am Verhandlungsort in Potsdam brachte dbb-Chef Ulrich Silberbach seine Enttäuschung, seinen Unmut und sein Unverständnis vor den versammelten Medienvertretern zum Ausdruck: „Die Arbeitgeber haben es nicht verstanden. Sie respektieren die Sorgen und Nöte ihrer Beschäftigten nicht und schätzen deren Frustration und Entschlossenheit auch noch falsch ein.“ Hierin sieht Silberbach die Ursachen dafür, dass die Arbeitgeberseite nicht einmal den Versuch eines Kompromisses unternahm und kein verbessertes Angebot auf den Tisch legte.
Arbeitgeberseite ruft die Schlichtung an
Nachdem in den Verhandlungen keinerlei Bewegung zu erkennen und eine Beendigung der Blockadehaltung nicht mehr zu erwarten war, erklärten die beteiligten Gewerkschaften die Verhandlungen für gescheitert, nachdem die Tarifkommissionen dies einstimmig beschlossen hatten. Für den Bund bedauerte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) diesen Schritt der Gewerkschaften und erklärte, dass der Bund nunmehr die Schlichtung einberufen werde.
Seit Montag hatten sich die Gewerkschaften um einen konstruktiven Fortgang der Verhandlungen bemüht. Speziell die Kommunen sahen jedoch keinerlei Möglichkeiten, den Gewerkschaftsforderungen zu entsprechen. Dafür, so Karin Welge, Verhandlungsführerin der Kommunen, seien die finanziellen Rahmenbedingungen für viele Städte und Gemeinden zu schlecht. Eine solche Erhöhung sei einfach nicht leistbar.
Die so verhärteten Positionen konnten im weiteren Verlauf der dreitägigen Verhandlungsrunde nicht mehr substanziell aufgebrochen werden. Weil die Gewerkschaften von einer Verlängerung der Verhandlungen, auf die die Arbeitgeberseite augenscheinlich gehofft hatte, keine neuen Impulse für einen sachgerechten Kompromiss erwarten konnten, scheiterten die Tarifverhandlungen. Die Verhandlungskommissionen zeigten sich nach dem Verhandlungsmarathon frustriert und erschöpft, erklärten aber nachdrücklich, dass man sich auf nichts einlassen könne, was für die unteren Einkommensbereiche keinen vollen Inflationsausgleich bewirke.
Wenn politisches Handeln nicht zu den politischen Erklärungen passt!
Bemerkenswert für den objektiven Beobachter ist die Diskrepanz zwischen der wohlfeilen Wertschätzung, die seitens der Politik gegenüber den Kolleginnen und Kollegen immer wieder geäußert wird, und dem konkreten Verhalten, wenn sich diese Wertschätzung in Euro und Cent auszahlen soll. Für vieles scheint Geld im Staatssäckel vorhanden zu sein, egal ob es sich um Ukrainekrieg, Flüchtlingshilfe und ökologischen Gesellschaftsumbau handelt. Für die Beschäftigten, die die immensen Kosten dieser Maßnahmen und eine explodierende Inflation bewältigen müssen, tendiert das Verständnis der öffentlichen Arbeitgeber bislang allerdings eher gegen null.
Für die Gewerkschaftsseite war folglich gar nichts anderes möglich, als die Verhandlungen für gescheitert zu erklären. Dabei müsste doch eigentlich selbst der Politik klar sein, dass man in diesen krisenhaften Zeiten Menschen, von denen man Einsatz und Engagement im Beruf erwartet, keine Reallohnverluste zumuten kann. In den unteren Einkommensbereichen konnte man bereits vor dem Anspringen der Inflation keine großen Sprünge machen. Gegenwärtig haben diese Kolleginnen und Kollegen am Ende des Geldes immer noch zu viel Monat zu bewältigen.
Ulrich Biermann erwartet auch im Herbst schwierige Verhandlungen
In Düsseldorf bewertete BSBD-Chef Ulrich Biermann das Scheitern der Tarifverhandlungen in Potsdam überaus kritisch. „Es ist kein gutes Zeichen, wenn sich Tarifpartner derart verhaken, dass sie von einer Fortsetzung ihrer Auseinandersetzung keine Fortschritte mehr erwarten.
Dies ist auch eine schwere Hypothek für unsere Verhandlungen, die im Herbst auf der Tagesordnung stehen. Nachdem der Bund nunmehr von der Schlichtung ein Heilsversprechen erwartet, sollte allen Beteiligen klar sein, dass sich die Gewerkschaften nur dann auf einen Schlichterspruch einlassen können, wenn für die unteren Einkommensbereiche ein voller Inflationsausgleich vorgeschlagen wird.“
Wie geht es jetzt weiter?
Die Arbeitgeberseite behauptet, dass die Gewerkschaftsforderungen für die Kommunen 15, 4 Milliarden Euro kosten würden. Der Bund veranschlagt einen entsprechenden Abschluss mit 1,4 Milliarden Euro, der auf 4,7 Milliarden Euro anwachsen könne, wenn eine Übertragung auf den Beamtenbereich erfolge.
Dem dbb ist besonders wichtig, dass jene Beschäftigten, bei denen das Gehalt nur knapp zum Leben reicht, wieder mehr Luft zum Atmen erhalten. Auch im Januar und Februar 2033 sind die Verbraucherpreise um jeweils 8,7 Prozent gestiegen. Die Inflation gehört folglich keineswegs der Vergangenheit an. Diese unabweisbaren Probleme dürfen einfach nicht auf dem Rücken der Kolleginnen und Kollegen abgeladen werden.
Die massenhafte Beteiligung der Betroffenen an Warnstreiks und Demonstrationen hätte den öffentlichen Arbeitgebern Warnung genug sein müssen, dass eine weitere Blockade die Tarifauseinandersetzung eskalieren würde. Auch wenn jetzt die Schlichtung anläuft, sollten sich die Arbeitgeber nicht über die Kampfbereitschaft der Kolleginnen und Kollegen täuschen. Die wird auch in vier Wochen noch sehr hoch sein.
Wie wird die Schlichtung ablaufen?
Für das Schlichtungsverfahren gibt es klare Regeln und Fristen. Nach Einberufung der Schlichtung herrscht zwischen den Tarifvertragsparteien Friedenspflicht, so dass über die Osterfeiertage nicht gestreikt werden darf. Für die Arbeitgeberseite dürfte dieser Umstand ein nicht ganz unwesentlicher Gesichtspunkt gewesen sein.
Unter dem Vorsitz des ehemaligen sächsischen Ministerpräsidenten Georg Milbradt von der Arbeitgeberseite und dem ehemaligen Bremer Staatsrat Hans-Henning Lühr für die Gewerkschaften würde sich eine Schlichtungskommission um die Entwicklung einer Kompromissregelung bemühen, zu der die Tarifpartner allein augenscheinlich nicht fähig sind.
Im Anschluss werden die Tarifpartner in Verhandlungen über den von den Schlichtern vorgelegten Kompromiss eintreten. Ein solcher Richterspruch muss nicht immer den Durchbruch bringen. Auch in der Vergangenheit sind Schlichtersprüche schon abgelehnt worden. Ein Tarifabschluss kam in diesen Fällen erst nach flächendeckenden Streiks zustande.
Den öffentlichen Arbeitgebern ist zu empfehlen sich konstruktiv zu verhalten und sich einem abschlussfähigen Kompromiss nicht in den Weg zu stellen. Dies würde in der Konsequenz unweigerlich umfassende Arbeitsniederlegungen zur Folge haben. Damit würden aber auch noch die Bürgerinnen und Bürger, die Leidtragende eines solchen Streiks wären, durch die Arbeitgeber in Mithaftung genommen.
Friedhelm Sanker
Hintergrund
Vom Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) sind insgesamt über 2,5 Millionen Beschäftigte direkt oder indirekt betroffen: Fast 1,6 Millionen Arbeitnehmende des Bundes und der Kommunen und weiterer Bereiche, für die der TVöD direkte Auswirkungen hat, sowie Auszubildende (6.350 beim Bund, 56.300 bei den Kommunen), Praktikantinnen und Praktikanten sowie Studierende in ausbildungsintegrierten dualen Studiengängen und auch knapp 190.000 Bundesbeamtinnen und Bundesbeamte, Anwärterinnen und Anwärter (16.885 beim Bund) sowie über 500.000 Versorgungsempfängerinnen und -empfänger beim Bund, auf die der Tarifabschluss übertragen werden soll. Mittelbar hat die Einkommensrunde auch Auswirkungen für weitere Bereiche des öffentlichen Dienstes (bspw. Bundesagentur für Arbeit, Deutsche Rentenversicherung).
Foto: Frank Zitka/dbb
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