Großdemonstration mobilisiert 15.000 Beschäftigte
Am 5. Dezember 2023 haben sich etwa 15.000 Menschen zum landesweiten Warnstreik zahlreicher Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes in NRW eingefunden. Ziel war es vor den finalen Tarifverhandlungen in Potsdam ab dem 7. Dezember 2023 den Druck auf die Arbeitgeberseite zu erhöhen. Im Laufe des Tages fanden deshalb zahlreiche Kundgebungen und Demonstrationen statt.
Parallel starteten gleich zwei Großveranstaltungen. Zum Einen die Auftaktkundgebung von Ver.di, der GEW NRW und der GdP in NRW vor dem DGB-Haus in der Friedrich-Ebert-Straße, sowie zum Anderen die Auftaktkundgebung des DBB in der Jägerhofstraße in unmittelbarer Nähe des Finanzministeriums. Es war das erste Mal, dass die Veranstaltung des DBB, die sich alle zwei Jahre auf’s Neue wiederholt, die Jägerhofstraße vollends mit Menschen flutete.
Hinter den Bannern und wehenden Flaggen der Demonstrierenden, erhob unter anderem der Vorsitzende der DBB NRW, Roland Staude, das Wort. „Wir wollen, dass der öffentliche Dienst und vor allem seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihren berechtigten Forderungen ernst genommen werden und dies gilt genauso für die Tarifverhandlungen in Potsdam, wie auch für Besoldungs- und Versorgungsanpassungen hier am Regierungssitz in Düsseldorf“ , so Herr Staude. Doch auch aus der zweiten Verhandlungsrunde in Potsdam sei kein erkennbarer Fortschritt zu verzeichnen. „Wer keine ernsthafte Kommunikation will, der muss mit Konfrontation rechnen“, schlussfolgert der Gewerkschafter. Aus Lautsprechern hallen seine Worte wieder. Die Menge jubelt. Trillerpfeifen fahren einem lautstark durch Mark und Bein und ein Mann schreit aus voller Kehle in ein Megafon „10,5!“ Eine der Kernforderungen der Gewerkschaften an das Finanzministerium. Die Tabellenentgelte der Beschäftigten sollen um 10,5 Prozent, mindestens aber um 500 Euro monatlich, erhöht werden. „Es entsteht ja langsam der Eindruck, dass Einkommen, Besoldung und Versorgung nur noch Belastungen darstellen. Das ist mitnichten der Fall!“, erklärt Roland Staude aufgebracht.
Stefan Behlau, Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung in NRW, fährt fort. Durch die heutige Veranstaltung setze man ein starkes Zeichen für gegenseitige Solidarität. Auch er spricht sich für die gerechtfertigte Erhöhung der Entgelte aus. Die Leistungen der Pädagogen im Sektor Bildung und Erziehung seien – insbesondere dem Fachkräftemangel zum Trotz – beachtlich. Man habe sich, z.B. während der Pandemie, unter dem Einsatz aller Kräfte außergewöhnlichen Bedingungen mit Flexibilität und Auslastung gestellt. Doch erhielten kompetente Fachleute durch das unverantwortliche Handeln der Politik noch heute keine Wertschätzung für ihre Verdienste. Perspektiven in dem Berufszweig würden schlichtweg nicht gefördert. Bei dem Zusammentreffen von Überlastung auf Unterfinanzierung, müsse man sich nicht wurden, dass der öffentliche Dienst in Konkurrenz zur Privatwirtschaft schlecht abschneide.
Trübsal wird hier allerdings nicht geblasen. Die Band „Pentagon Percussion“ sorgt indes richtig für Stimmung.
Manfred Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft NRW, tritt ans Mikrofon und die Menge explodiert geradezu. „Mannie!“, feuern ihn seine Kollegen wie wild an. Manfred Lehmann fehlt es beim öffentlichen Dienst vor allem an Begeisterung. Denn die lasse nach. Besonders beim Nachwuchs. Der öffentliche Dienst sei unattraktiv geworden. 41h Wochenarbeitszeit bei schlechter Bezahlung. Und das bei einer Inflation von zeitweilig sechs Prozent. Das verscheuche die Bewerber. In unserem Staat sei für alles genug Geld da. Nur eben nicht für die Beschäftigten, so der Gewerkschafter. Alle zwei Jahren brauche es erst diese Demo, damit der Laden überhaupt erst zum Laufen gebracht wird. Manfred Lehmann spricht von den Tarifverhandlungen in Potsdam. Ohne Demonstrationen liefe dort gar nichts. Und dass, wo doch die Arbeitnehmerseite klar kommuniziert hat, was sie will: Mehr Geld und mehr Wertschätzung. Denn „Wir sind es wert“, so Lehmann. Tosender Applaus.
Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft NRW, Erich Rettinghaus, spricht sich vor allem für die Bedeutung der Sicherheit in unserem Land aus. Er erinnert an den Einsatz der Polizei in Pandemie Zeiten, den die Politik ihrerseits nicht mit der gebührenden Wertschätzung vergolten hat. Im Gegenteil. Solche besonders belasteten Berufsgruppen würden hingegen immer weiter belastet. Nun solle sogar die Rentengrenze erhöht werden. Und das nachdem es bereits Kürzungen beim Weihnachtsgeld gab und das Urlaubsgeld gänzlich gestrichen wurde. Den legitimen Forderungen nach einem akzeptablen Tarifabschluss käme die Politik aber auch nicht nach. Man müsse deshalb klarstellen „Der Öffentliche Dienst ist kein Selbstbedienungsladen der Politik, sondern systemrelevant!“ Ohne ihn sei kein funktionierendes, öffentliches Leben möglich. „Ohne uns alle hier ist kein Staat zu machen“, ruft Rettinghaus der enormen Anzahl an Menschen zu, die sich wie ein Schlauch die komplette Straße entlang bis vor die kleine Bühne schlängelt. Die fehlende Gerechtigkeit und Wertschätzung sei für alle nicht mehr hinzunehmen. Deshalb stünde man hier zusammen als eine geeinte Front mit den anderen Gewerkschaften für die gemeinsame Sache ein, so der Gewerkschafter. Trotz Kälte. Trotz Regen. Der Verhandlungsführer besäße schließlich Ausdauer. Also würde man selbst ebenfalls die nötige Ausdauer aufbringen.
Noch einmal ertönt die Band „Pentagon Percussion“ und die Menge tanzt sich warm.
Zu guter Letzt ergreift Matthäus Fandrejewski, Vorsitzender der DBB Jugend, das Wort. Denn auch die Entgelte der Auszubildenden, Studierenden, Praktikantinnen und Praktikanten sollen bei einer Laufzeit von 12 Monaten um 200 Euro monatlich erhöht werden. Auch soll eine unbefristete Übernahme in Vollzeit für die Auszubildenden und Dual Studierenden nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung gewährleistet werden. So weitere Kernforderungen der Gewerkschaften.
„Habt ihr denn noch Bock auf diesen Arbeitskampf?!“, versucht der Jugendsprecher die sich langsam zu den Demonstrationszügen mobilisierenden Massen nochmal einzufangen. Fandrejewski prognostiziert eine „Transformation vom Fachkräftemangel zum Arbeitnehmermangel“. Bis 2030 werde jede vierte Stelle aus dem öffentlichen Dienst unbesetzt bleiben. „Seht euch hier mal um. Schaut euch die Leuten neben euch an und zählt. Eins, zwei, drei, weg.“ Die Stimme der Jugend müsse endlich Gehör finden. Der Nachwuchs werde dringend gebraucht. „Wir sind unverzichtbar“, so der Gewerkschafter. In Zeiten wie diesen sei es eine „Frechheit, dass wir noch eine Übernahme fordern müssen bei dem jetzigen Fachkräftemangel“, so Fandrejewski. Die Inflation stehe auch ihnen bis zum Halse. Zudem führe der Kampf zwischen Bund, Kommunen und Ländern um Fachleute nicht zu den erhofften Lösungen, sondern nur zu einer Benachteiligung der Länder und Kommunen, denen einfach die Möglichkeiten des Bundes verwehrt bleiben. Bereits die Einkommensunterschiede zwischen Ländern und Kommunen seien enorm.
Um kurz vor zwölf ist es dann so weit. Im Takt der Trommel stampft die Menge durch Matsch und Regen Richtung Innenstadt. Auf ihrem Weg zum Landtag schließt sie sich mit der Menschenmenge zusammen, die zur Kundgebung von Ver.di, der GEW NRW und der GdP in NRW erschien.
Um 13:00 Uhr ist es so weit. 15.000 durchnässte Menschen quetschen sich letztlich zur gemeinsamen Großkundgebung auf der Landtagswiese aneinander. Die Füße im Schlamm versunken, lauschen sie unter anderem Frank Werneke, dem Vorsitzenden der Ver.di und im Anschluss Ulrich Silberbach, dem Bundesvorsitzenden des DBB. Herr Silberbach richtet sich auf der Landtagsbühne an die Politik und fordert, man müsse auch „Investieren um weiter zu kommen!“ Der öffentliche Dienst sei keine Beschäftigung zweiter Klasse und es müsse endlich eine gerechte Verteilung der Einnahmen unseres Landes geben. Auf Länderebene habe man einen gleich guten Tarifabschluss wie auf der Bundesebene verdient. Schließich seien Kollegen andernfalls bereit dazu abzuwandern. Es wäre also dringend Zeit, um zu handeln. „Es ist nicht nur fünf vor, sondern bereits drei Minuten nach 12“, so der DBB Bundesvorsitzende.
Rebecca Reichel
Studentin an der Hochschule Fresenius
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