Die kürzlich vorgestellte Shell-Jugendstudie zeichnet bereits zum 19. Mal ein umfassendes Bild der Einstellungen und Ansichten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland. Zusammenfassend ist deren Wahrnehmung und Bewertung von Staat und Gesellschaft ambivalent. Nachstehende Auszüge aus der Studie machen das deutlich.
Positive Identifikation mit Staat und Gesellschaft überwiegt die gravierende Kritik
Die große Mehrheit der Jugendlichen (Altersgruppe 15 bis 25 Jahren) steht positiv zu Staat und Gesellschaft und sieht für sich große Zukunftschancen. Das für den deutschen Sozialstaat zentrale Leistungs- und Gerechtigkeitsversprechen sowie das Vertrauen in den Fortschritt sind aus ihrer Sicht weitestgehend intakt. Etwa drei Viertel der Jugendlichen sind der Ansicht, dass Deutschland ihnen alle Möglichkeiten bietet, ihre Lebensziele zu verwirklichen (76%), und vertrauen darauf, dass alle gemeinsam als Gesellschaft eine lebenswerte Zukunft schaffen können (71%).
Auffällig ist aber auch die Kritik, die die Jugendlichen an der Situation in Deutschland üben. 57% meinen, dass vieles, was woanders selbstverständlich ist, bei uns nicht funktioniert; eine Äußerung, die eine häufige populistische Kritik an staatlichem Versagen aufnimmt. Ähnliches gilt für die eher vom Eigennutz geprägte und Verlustängste ausdrückende Aussage „Die meisten Maßnahmen, die vom Staat getroffen werden, bringen mir persönlich keine Vorteile“: Hier stimmen 55% zu. 57% der jungen Menschen befürworten die Aufnahme von Flüchtlingen, die in Deutschland Schutz suchen. Gleichzeitig findet die eher sozialpopulistisch intonierte Ansicht, der Staat kümmere sich mehr um Flüchtlinge als um hilfsbedürftige Deutsche, bei 48% Zustimmung.
44% der Jugendlichen meinen, „Eine starke Hand müsste mal wieder Ordnung in unseren Staat bringen“. Jedoch nur ein Fünftel (22%) der Jugendlichen stimmt nationalpopulistischen Narrativen, wie etwa der EU-feindlichen Aussage „Deutschland wäre ohne die Europäische Union besser dran“, zu. Ähnliches gilt für extremistische Positionen, die ebenfalls von der großen Mehrheit (81%) abgelehnt werden. Allerdings glauben insgesamt 18%, dass es in jeder Gesellschaft Konflikte gibt, die nur mit Gewalt ausgetragen werden können.
Gestaltungsvertrauen versus Vertrauensverlust und Benachteiligungsempfinden
Auch die persönlichen Haltungen der Jugendlichen gegenüber Staat und Gesellschaft sind mehrheitlich durch positive Identifikation und Vertrauen gekennzeichnet. 86% vertrauen darauf, dass eine bessere Welt möglich ist, und 70% sind sich sicher, dass die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse durch eigenes Engagement beeinflussbar sind. Mehr als der Hälfte (56%) fehlt allerdings das Vertrauen in die Einsicht ihrer Mitmenschen. Diese Jugendlichen nehmen es für sich so wahr, dass die als „richtig“ und auch als „sozial wünschenswert“ empfundenen eigenen Sichtweisen immer häufiger von anderen nicht geteilt werden.
Demokratiezufriedenheit bei Jugendlichen im Osten etwas rückläufig
Die befragten 12- bis 25-Jährigen zeigten ein grundsätzlich hohes Staatsvertrauen. Drei Viertel von ihnen (75%) sind mit der Demokratie eher oder sogar sehr zufrieden. Während die Demokratiezufriedenheit bei Jugendlichen im Westen seit längerer Zeit stabil ist (aktuell 77%), geht sie bei den Jugendlichen im Osten nach längerem Anstieg wieder etwas zurück (aktuell 60%).
Das Vertrauen in Institutionen ist gewachsen
Vor allem das Vertrauen in die zentralen Institutionen der Bundesrepublik ist intakt und in den letzten 20 Jahren sogar mehr oder weniger kontinuierlich gewachsen. Überdurchschnittlich stark vertrauen die jungen Menschen in Deutschland den regierungsunabhängigen staatlichen Institutionen wie etwa dem Bundesverfassungsgericht oder der Polizei (Mittelwert 3.7 auf einer Skala von 1 = sehr wenig Vertrauen bis 5 = sehr viel Vertrauen, wobei der Skalenmittelpunkt 3 dafür steht, dass einer Institution generell vertraut wird). Eher oder sehr wenig Vertrauen haben hier nur 14 bzw. 13% der Jugendlichen. Hat das Vertrauen in die Bundeswehr in den beiden letzten Jahrzehnten noch etwas geschwankt, so hat es in 2024 ebenfalls zugenommen (Mittelwert 3.4). Eher oder sehr wenig Vertrauen nennen hier nur 18%. Auch das Vertrauen junger Menschen in die EU ist noch einmal angestiegen (Mittelwert 3.4). Hier sind es nur 17% der Jugendlichen, die kein Vertrauen haben. Ambivalent drückt sich das Vertrauen in die Bundesregierung aus, es ist zurückgegangen, aber nach wie vor im Durchschnitt positiv (3.0). Eher weniger Vertrauen haben die Jugendlichen in Parteien (2.6) und Kirchen (2.4).
Das Fazit der Shell-Jugendstudie: Trotz aller scharf formulierter Kritik, kann keine Rede davon sein, dass die Einstellungen und Haltungen junger Menschen in Deutschland gegenüber Staat und Gesellschaft fundamental ins Wanken geraten oder gar gekippt seien.
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