Braucht es „Queerulanten“ zur Schaffung nötiger Handlungssicherheit?

Wenn die Politik Gesetze im Eiltempo an den Start bringt, werden die Auswirkungen auf Gerichtsbarkeit und Strafvollzug im Vorfeld häufig nicht bedacht.

Wir kennen das schon

So stellte zuletzt die Legalisierung von Cannabis Staatsanwaltschaften und Einrichtungen des Justizvollzuges vor kaum zu bewältigende Herausforderungen. Da die Regelungen des neuen Gesetzes rückwirkend galten, mussten zigtausende von Strafakten erneut gesichtet und geprüft werden, um unrechtmäßigen Vollstreckungen von Freiheitsstrafen fristgerecht vorzubeugen. Strafen waren aufzuheben oder zu mildern, nicht selten kam es zu Blitzentlassungen.

Der Vollzug – gelebte Vielfalt

Wer Diversitätsdimensionen anerkennt und berücksichtigt, der strebt ein Miteinander an, das auf Anerkennung, Wertschätzung, Gleichstellung und Chancengleichheit beruht.

In der Literatur werden häufig sieben Kerndimensionen der Diversität genannt: ethnische und nationale Herkunft, Alter, soziale Herkunft, Geschlecht und geschlechtliche Orientierung, körperliche und geistige Fähigkeiten sowie Religion und Weltanschauung. Eine abschließende Aufzählung gibt es letztlich nicht. Theoretisch gibt es endlos viele Kategorien, die Menschen voneinander unterscheiden oder miteinander verbinden können.

„Der Justizvollzug ist bunt“, heißt es unter Praktikern und meint: wo viele Menschen auf engem Raum zusammenleben, da herrscht eine Vielfalt, der Rechnung zu tragen ist!

Der Strafvollzug sieht sich mit allen gesellschaftlichen und politischen Situationen konfrontiert, die sich außerhalb der Anstaltsmauern ergeben. Er muss am Puls der Zeit bleiben, muss und will sich anpassen, verändern, einstellen und umstellen. Im Strafvollzug wird Vielfalt gelebt. In der Praxis zeigt sich das schon daran, dass unterschiedliche Bedürfnisse nicht nur erkannt, sondern respektiert und beachtet werden. Sie fließen in Behandlungsarbeit ein, nehmen Einfluss auf vollzugliche Maßnahmen und die Form der Unterbringung. Dabei trennt der Vollzug nicht nur männliche und weibliche Inhaftierte oder Erwachsene von Jugendlichen. Inhaftierte werden auch nach Delikt, Behandlungsbedarf oder dem Alter getrennt oder beispielsweise danach, ob psychische Belastungen oder Suchterkrankungen vorliegen. Spezifischen Bedürfnissen von Personengruppen wird auf unterschiedliche Weise Rechnung getragen. Immer mit dem Ziel, die Chancen auf eine gelingende Wiedereingliederung bestmöglich zu erhöhen.

Obwohl damit also längst klar sein dürfte, dass der Strafvollzug auch mit geschlechtlicher Vielfalt angemessen umgehen kann und will, scheinen die politischen Entscheidungsträger den Lebensraum Gefängnis nicht in ihre Überlegungen zum Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG) einbeziehen zu wollen. Denn obwohl das Gesetz bereits seit dem 01.11.2024 in Kraft ist, ist noch immer ungeklärt, wie in nordrhein-westfälischen Einrichtungen des Justizvollzuges mit geschlechtlicher Vielfalt umgegangen werden soll.

Das SBGG im Überblick

  • Mit Einführung des Selbstbestimmungsgesetz wurde das nicht mehr zeitgemäße Transsexuellengesetz abgelöst. Dieses war durch Betroffene häufig als entwürdigend empfunden worden und war in wesentlichen Teilen verfassungswidrig.
  • Mit dem SBGG soll das Grundrecht auf Achtung der Geschlechtsidentität insbesondere von transgeschlechtlichen, intergeschlechtlichen und nichtbinären Personen gestärkt werden.
  • Transgeschlechtliche Menschen identifizieren sich nicht oder nicht nur mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.
  • Intergeschlechtliche Menschen besitzen körperliche Merkmale, die sich nach medizinischen Normen nicht eindeutig als ausschließlich männlich oder ausschließlich weiblich zuordnen lassen.
  • Nichtbinäre Menschen identifizieren sich nicht als Frau oder Mann.
  • Die Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrags kann durch eine Erklärung gegenüber dem Standesamt vorgenommen und bedarf einer Selbstauskunft mit Eigenversicherung.
  • Drei Monate vor der Erklärung über die Änderung der Vornamen sowie des Geschlechtseintrags muss eine Anmeldung beim Standesamt erfolgen, welche mündlich oder schriftlich erfolgen kann. Nach der Erklärung gibt es eine Sperrfrist von einem Jahr.

Das SBGG trifft keine Regelungen über den Strafvollzug. Auf der Homepage des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend heißt es:

  • „(…) Die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug liegt bei den Ländern. Es bleibt insoweit bei der bisherigen Rechtslage. Das bedeutet: Die Unterbringung von Strafgefangenen muss sich nicht allein am Geschlechtseintrag orientieren, Das Grundgesetz und die Fürsorgepflicht der Anstalt verlangen, bei der Unterbringung die Sicherheitsinteressen und Persönlichkeitsrechte aller Strafgefangenen zu berücksichtigen. Ändert ein Strafgefangener mit dem Geschlechtseintrag „männlich“ den Geschlechtseintrag im Personenstandsregister in „weiblich“ können je nach Einzelfall Persönlichkeitsrechte und Sicherheitsinteressen anderer Strafgefangener der Verlegung in ein Frauengefängnis entgegenstehen.“

Für die Einrichtungen des Justizvollzuges ergeben sich grundsätzliche Fragen, deren Lösungen vielleicht nicht mal einzelnen Bundesländern, aber auf keinen Fall einzelnen Haftanstalten überlassen bleiben sollten.

  • Wie, wo und mit wem sind Menschen unterzubringen, die ihren Geschlechtseintrag haben ändern lassen, aber (noch) die körperlichen Merkmale des Geschlechts aufweisen, welches ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde?
  • Sollen spezialisierte Vollzugsabteilungen eingerichtet werden?
  • Welche Kleidungsvorschriften greifen?
  • Wie sind köpernahe Durch- und Untersuchungen durchzuführen?
  • Wie und durch was lassen sich Missbrauchsmöglichkeiten der neuen Gesetzgebung ausschließen?

Dass Problematiken im nordrhein-westfälischem Vollzugsalltag bislang selten sichtbar geworden sind, heißt einerseits nicht, dass es sie nicht gibt und darf andererseits nicht bedeuten, sich den speziellen Bedürfnissen von Betroffenen nicht zuzuwenden.

Braucht es erst „Queerulanten“ zur Schaffung nötiger Handlungssicherheit???

Autor: BSBD NRW


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Von BSBD NRW

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